Eisige Versuchung
Kraftstoff und Frostschutzmittel verwendet. Wenn man es trinkt, kann es einen sogar umbringen.«
»Dafür fand man keine Beweise, aber der Ruf der Bar war nach der Polizeirazzia dahin, und die Gäste blieben aus. Sie musste schließen.« Maud, durch das Plaudern mit ihren Freundinnen während ihrer Handarbeitstreffen offenbar besser informiert als ihr Mann, nahm einen Schluck und verzog ihr Gesicht. »Der Besitzer war schwul, deshalb hatte Hartcourt ihn auf dem Kieker.«
»Oder er wollte den Sheriff nicht schmieren wie Broadbaker«, fügte Shade in Gedanken hinzu und wärmte ihre Hände an der Tasse, denn im Haus ihrer Großeltern war es immer recht kühl, um Heizkosten zu sparen.
Baba schlug die Hände über seinem Kopf zusammen. »Oh, bitte, selbst in Bridgeport lebt man nicht hinter dem Mond!«
»Im Tal ticken die Uhren anders.« Mauds Wangen waren immer ein wenig gerötet, als käme sie gerade von einem Spaziergang durch kühle Luft, aber inzwischen leuchteten sie in einem satten aggressiven Rotton.
Mit einem triumphierenden Lächeln um die Lippen tippte Baba gegen seinen Oberarm. »Hartcourt hat sogar eine Tätowierung, genau hier, ich habe es selbst gesehen!«
»Ein Victory-Zeichen, das sagt doch schon alles!« Schnaubend stellte Maud ihre Tasse ab, das Geschirr klapperte laut.
»Ich liebe dich, Mrs. Grimes«, sagte Baba unerwartet, wohl darum bemüht, die Diskussion nicht in einen Streit ausarten zu lassen.
Maud stand auf und küsste sein erstaunlich volles Haar. Ich dich doch auch, Mr. Grimes.« Dann ging sie zum Wohnzimmerschrank, holte eine Dose mit selbst gebackenen Butterkeksen heraus und setzte sich wieder.
Nun spürte Shade ihren Hunger erneut. Beherzt griff sie zu und grinste in sich hinein. Ihre Großeltern waren wie Feuer und Wasser, aber genau das hielt ihre Ehe lebendig. Wenn sie ein Thema erörterten, taten sie es meistens hitzig, denn sie waren selten einer Meinung, jedoch wurden sie dabei niemals ausfallend. So oft musste Shade an das Lied »Love is a battlefield« von Pat Benetar denken, wenn sie mit den beiden zusammensaß. Der Fall, dass ihre Großeltern sich nichts mehr zu sagen hatten, würde höchstwahrscheinlich nie eintreten, und das war gut so.
»Hast du schon herausgefunden, weshalb der Winter dieses Jahr so früh einsetzte?« Mithilfe seines Gehstocks zog Baba die Dose heran, steckte sich ein ganzes Plätzchen in den Mund und kaute genüsslich darauf herum, als hätte er nur darauf gewartet, dass seine Frau etwas Leckeres zu den Heißgetränken servierte. Sie aßen immer sehr früh zu Mittag, dennoch lag die Mahlzeit noch nicht so lange zurück, dass er schon wieder hungrig sein konnte. Babas Appetit war schon immer groß gewesen. Früher hatte er die Energie für seine Arbeit bei der Feuerwehr und den Wanderungen gebraucht. Jetzt tat er weder das eine noch das andere, doch er aß immer noch genauso viel. Als er sprach, flogen bei den ersten Worten Krümel aus seinem Mund. »Scheint ja nur ein kurzes Intermezzo gewesen zu sein. Er schmilzt bereits.«
Das konnte nur bedeuten, dass sich der eisige Hauch aus der Hölle langsam zurückzog. Mit ihm würde auch Roque verschwinden. Sein Herr brauchte nur an der unsichtbaren Leine zu ziehen, mit der er seinen Engel an sich band, und Roque würde in den Permafrost zurückgesogen werden, zumindest stellte Shade es sich so vor. Der Keks in ihrem Magen fühlte sich mit einem Mal wie ein Stein an.
Maud schickte ihrem Mann einen rügenden Blick und stellte das Gebäck so weit von ihm weg, dass er es nur noch erreichen konnte, wenn er aufstand, und dass er das tat, war unwahrscheinlich. »Das sind die Vorboten für Gottes Jüngstes Gericht.«
Shade hätte ihr gern gesagt, wie falsch sie lag, denn ein anderer überirdischer Herr war der Auslöser für den Winter gewesen.
»Schuld ist der Klimawandel.« Laut schlürfte Baba seinen Tee, wohlwissend, dass Maud das nicht leiden konnte. Das war offenbar seine Art der Rebellion gegen die Keksration, denn er schaute demonstrativ die Dose an. »Der Mensch hat Raubbau mit der Erde betrieben, und nun rächt sich die Natur.«
»Ich habe am Staudamm geparkt und bin ein Stück den Mount Jackson hochgestiegen. Auf einer Lichtung habe ich meine Messgeräte aufgebaut.« Shade drückte das Kissen gegen ihren Bauch, als könnte sie das schlechte Gewissen, das sie quälte, weil sie ihre Großeltern belog, so zum Schweigen bringen. Es funktionierte nicht. »Was ist das für eine Schneise im Wald? Sie
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