Eisige Versuchung
geradezu dick aus.«
»Besten Dank auch, jetzt fühle ich mich besser.« Shade nahm ein Sofakissen und legte es auf ihren Schoß, um ihren kleinen Bauch, der sich glücklicherweise nur zeigte, wenn sie saß, zu verstecken.
Entschuldigend zuckte ihre Großmutter mit den Achseln. »So war das doch nicht gemeint!«
»Ich weiß«, beschwichtigte Shade und bemühte sich, nicht lauthals zu lachen, weil Baba hinter dem Rücken seiner Frau die Hände gen Himmel reckte.
»Während du wegen diesem Roque erstrahlst, scheint mir Wendy wie ein Pflänzchen ohne Zuwendung einzugehen.« Maud stellte den Kocher auf den Tresen, griff darüber hinweg nach der Kaffeekanne und goss Shade und ihr ein. »Wenn du mich fragst, liebt sie ihn wirklich, aber er hat sie nur geheiratet, um zum Sheriff gewählt zu werden.«
»Meinst du wirklich, dass er so abgebrüht ist?«, fragte Shade, gab zwei Löffel Zucker in ihre Tasse, musste an Arthur denken und rührte so aufgebracht um, dass etwas von der schwarzen Flüssigkeit über den Rand lief.
»Oh, er hat noch ganz andere Sachen gemacht!« Sofort holte Maud eine Serviette und tupfte die Untertasse trocken. »Angeblich befindet Wendy sich auf Wellness-Urlaub, der nun schon vier Wochen andauert. Das kommt nicht nur mir komisch vor. Alle tuscheln darüber.«
Shades Augen weiteten sich. »Glaubst du, Mrs. Hartcourt ist abgehauen?«
»Das würde sie ihrem Vater niemals antun. Nein, sie wird irgendwann in das Elend ihrer Ehe zurückkehren, und alles wird beim Alten sein, damit die Ehre der Familie nicht beschmutzt wird. Ja, so mittelalterlich denken die Leute hier noch.« Baba setzte an, um etwas zu sagen, doch Maud hob ihre Hand, um ihm zu zeigen, dass sie noch nicht fertig war. »Cecilia hat gehört, dass Wendy sich in einem Sanatorium aufhalten soll, wegen Depressionen oder so. Für mich klingt das plausibler als die Ausrede, sie sei zum Ausspannen weggefahren. Ich meine, sieh dich um: In Bridgeport gibt es keine Hektik, kaum Verkehr, und die Naherholungsgebiete liegen vor der Haustür. Wo kann man sich besser erholen als hier im Tal?«
Shade musste ihr beipflichten. Normalerweise kamen die Menschen ins Mono County, um hier ihre Freizeit zu verbringen und den Alltagsstress hinter sich zu lassen. Wer allerdings hier lebte und dennoch Urlaub brauchte, sehnte sich entweder nach einem Tapetenwechsel – oder hatte Ärger zu Hause.
Ihre Abneigung gegen Earl Hartcourt wuchs. Auf die eine oder andere Weise vernichtete er alle, die mit ihm zu tun hatten. Er kümmerte sich nur um sich und seine Karriere. Bill Gold hatte er bei Minustemperaturen im Schnee liegen lassen und in Kauf genommen, dass er hätte sterben können. Seine Frau Wendy betrachtete er nur als Stufe, um weiter die Karriereleiter nach oben zu klettern. Und er betrog die Bewohner des Tals, indem er heimlich Absprachen mit Lionel Broadbaker traf.
Blieb abzuwarten, was er einem Eisengel entgegenzusetzen hatte. Roque verbrachte die meiste Zeit an Shades Seite und nicht mit der Suche nach seiner Zielperson. So, wie sie es sah, war er längst nicht mehr der Soldat des Eisigen Herrn.
Sondern er war ihr Krieger!
Ihr Ass im Ärmel.
Ihre Schachfigur, mit der sie den König vom Spielbrett fegen würde!
Zwanzigstes Kapitel
Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein
»Der Sheriff macht jedenfalls nie Urlaub. Er opfert sich für seinen Job auf.« Baba hob seinen Teebeutel aus dem Wasser, legte ihn auf einen Löffel und wickelte die Schnur darum, sodass er auch noch den letzten Tropfen herausdrücken konnte.
»Weil er Angst hat, die Kontrolle über das County zu verlieren«, erwiderte Maud brüsk. Sie nahm neben Shade auf der Couch Platz, hob ihre Tasse an und blies vorsichtig auf die Oberfläche der dunklen Flüssigkeit. »Ich habe keinen blassen Schimmer, woher er das Geld nimmt, denn Pete Masterson, sein Vorgänger, lebte recht bescheiden. Aber Hartcourt, dieses Schlitzohr, ließ sich ein neues Haus am Hang bauen. Jetzt thront er über der Stadt wie ein Herrscher und hat seine Untertanen stets im Blick.«
»Du leidest an Verfolgungswahn, Darling. Er passt eben auf uns auf.« Babas versöhnliches Lächeln fiel bei seiner Frau nicht auf fruchtbaren Boden. Er legte den Teebeutel auf den Rand der Untertasse und lehnte sich im Ohrensessel zurück. »Im Sommer hat er diese neue Karaoke-Bar schließen lassen, weil dort gepanschte Drinks verkauft wurden. Die können lebensgefährlich sein! Der Alkohol wurde mit Methanol gestreckt, das wird als
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