Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
zu einem Ort, wo Kinder spielen, Gangs einander bekämpfen und Obdachlose sich von ihren Ladeneingängen zurückziehen konnten.
Draußen hörte Frieda Schritte. Nachdem sie ihre Teetasse weggestellt hatte, blieb sie noch einen Moment stehen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und sich für die Sitzung bereit zu machen. Dann öffnete sie die Tür zum Wartezimmer. Joe Franklin saß auf dem Sofa, den Kopf zur Seite geneigt, als würde er einem Geräusch lauschen, das nur er hören konnte. Frieda hatte Gelegenheit, ihn zu betrachten, bevor er sie bemerkte. Joe kam nun schon seit zweieinhalb Jahren zu ihr, zweimal die Woche, wenn er es schaffte. Oft schaffte er es nicht. Heute war er früh dran, was ein gutes Zeichen war. Frieda registrierte seinen ordentlichen Aufzug: Er hatte sich nicht verknöpft, seine Schnürsenkel waren gebunden, und seine Jeans wurde von einem Gürtel zusammengehalten, so dass sie ihm nicht von den knochigen Hüften rutschen konnte. Sein Haar sah gewaschen aus, seine Fingernägel waren sauber, und rasiert hatte er sich auch. Noch wichtiger aber war, dass seine Augen klar wirkten, als er sich ihr zuwandte, und er mit einer geschmeidigen Bewegung aufstand, statt sich wie ein alter Säufer mühsam hochzurappeln. Es gab Wochen und Monate, in denen er es kaum schaffte, den Tag zu überstehen, weil er trotz all seiner Bemühungen das Gefühl hatte, blind durch einen in Zeitlupe ablaufenden Albtraum zu stolpern. Dann aber gab es auch wieder Phasen, in denen er wie jetzt aus dem Dunkel auftauchte.
»Joe.« Mit einem aufmunternden Lächeln hielt sie ihm die Tür auf. »Schön, Sie zu sehen. Kommen Sie herein, nehmen Sie Platz. Lassen Sie uns loslegen.«
Um zehn vor zwei war Frieda für diesen Tag fertig. Vier Patienten, vier Geschichten in ihrem Kopf. Sie blieb noch ein paar Minuten sitzen, um ihre Anmerkungen zur letzten Sitzung in ihr Notizbuch zu schreiben, wobei sie wie üblich den altmodischen Füller benutzte, mit dem Reuben sie immer aufzog. Anschließend schaute sie noch nach, ob sie Nachrichten auf dem Handy hatte, rief sich ins Gedächtnis, dass sie später ihre Nichte Chloë anrufen musste, und spülte in der kleinen Küche, die ans Sprechzimmer angrenzte, ihre Teetasse ab. Gegessen hatte sie an diesem Tag noch nichts, wollte aber dennoch nicht gleich nach Hause fahren. Nachdem sie ihren langen schwarzen Mantel angezogen und sich ihren roten Schal zweimal um den Hals geschlungen hatte, verließ sie die Praxis und marschierte strammen Schritts in Richtung Warren Street und Victoria Line.
Als sie kurze Zeit später die Brixton Road entlangging, fand sie Andy’s Pizzas innerhalb weniger Minuten. Es war ganz einfach, schließlich hatte sie ja den Flyer. Bei Andy gab es nicht nur Pizzas. Er hatte auch Hamburger und Pommes im Angebot. Alle erhältlichen Speisen waren auf bunten Fotos zu bewundern. Die Aufnahmen ließen Frieda plötzlich an das Bild von der Leiche denken. Nachdem sie den Gedanken erst einmal im Kopf hatte, wurde sie ihn nicht mehr los. Rasch ging sie hinein. Vorne am Fenster standen ein paar Plastiktische. An einem saß eine Frau mit einem kleinen Kind und einem Baby in einem Buggy. Frieda trat an die Theke, wo ein Mann mit schütterem Haar und einem schwarzen Bart gerade eine Bestellung übers Telefon entgegennahm. Er trug ein rotes Poloshirt, auf dem links über der Brust »Andy’s« prangte. Nachdem er das Gespräch beendet hatte, reichte er die Bestellung durch eine Luke nach hinten in die Küche weiter. Eine Hand griff danach. Frieda hörte Speisen brutzeln und Pfannen klappern. Der Mann sah sie fragend an.
»Ja«, sagte Frieda, während sie die Liste mit Gerichten und Preisen studierte, die hinter ihm an der Wand hing. »Ich hätte gern einen grünen Salat. Und eine Flasche Wasser.«
»Salat!«, rief der Mann nach hinten, ehe er sich vorbeugte, eine Plastikflasche aus einem Kühlschrank nahm und sie auf die Theke stellte. »Darf es sonst noch was sein?«
»Danke, das wär’s.« Frieda reichte ihm eine Fünf-Pfund-Note.
Der Mann schob ihr das Wechselgeld über die Theke. »Der Salat ist gleich fertig«, erklärte er.
Frieda zog den Werbezettel heraus und legte ihn auf die Theke. »Ich habe Ihren Flyer«, sagte sie.
»Ja?«
Frieda war sich der Problematik des Ganzen bewusst. Eine falsche Frage, die so klang, als käme sie von der Stadt oder vom Finanzamt, und der Mann würde kein Wort mehr sagen. Damit wäre die Sache gelaufen.
»Ich wollte Sie um Rat fragen«,
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