Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
Frühstückstee, Reis mit kurzer Kochzeit. Der Kühlschrank war leer. Vermutlich war er ausgeräumt worden, nachdem die Polizei ihre Spurensuche abgeschlossen und alle als Beweismaterial infrage kommenden Sachen mitgenommen hatte.
Im Schlafzimmer stand ein kleines Doppelbett, das ordentlich gemacht war. Decke und Kissen hatten blaue Überzüge. Neben dem Bett stand ein einzelner Stuhl. Darunter lugten Stoffhausschuhe hervor, an der Tür hing ein gestreifter Morgenmantel, und hinten an der Wand stand ein aufgeklapptes Bügelbrett und darauf das dazugehörige Bügeleisen, ordentlich mit seinem Kabel umwickelt. Friedas Blick glitt über den Nachttisch: eine Lampe, eine Packung Paracetamol, ein Buch mit einem grellen Umschlag, das sich bei näherem Hinsehen als ein Kurzgeschichtenband über den Wilden Westen entpuppte. Als Frieda sich schließlich den Ärmel ihres Pullovers über die Hand zog und vorsichtig die Schranktür öffnete, schwang der lange, innen angebrachte Spiegel an ihr vorbei, und einen Moment erschrak sie über ihr eigenes Spiegelbild. Im Schrank hingen reihenweise gebügelte Hemden, einfarbige und gemusterte, maßgeschneiderte und lässig weite von der Stange, außerdem mehrere Hosen und zwei Jacken, eine davon aus nüchternem Tweed, die andere aus Leder, machohaft mit Nieten besetzt. Auf dem Schrankboden standen derbe Lederstiefel, Turnschuhe, elegante Halbschuhe. Mit nachdenklich geschürzten Lippen inspizierte Frieda die T-Shirts und Pullis, die sich in den Fächern des Schranks stapelten.
»Wer bist du?«, sagte sie laut, während sie die Tür schloss und ins Bad ging, das so sauber und leer wirkte wie ein Hotel-badezimmer: Wanne, Waschbecken, Toilette, ein graues Handtuch, ein kleiner runder Spiegel, Rasierschaum, eine Rasierklinge, eine grüne Zahnbürste, Zahnseide, ein Waschlappen, ein Nagelknipser …
Frieda kehrte ins Wohnzimmer zurück und ließ sich auf dem Sessel nieder. Sie musste an ihr eigenes kleines Häuschen denken. Auch sie behielt ihr Privatleben lieber für sich: Bei ihr gab es keine gerahmten Familienfotos, sie ließ ihre Post nicht offen herumliegen und pinnte auch keine Ansichtskarten an ein Notizbrett. Trotzdem war jeder Raum mit Gegenständen gefüllt, die etwas über ihr Leben aussagten. Da war beispielsweise der Schachtisch, an dem sie früher immer mit ihrem Vater saß – vor langer Zeit, in einer anderen Welt. Oder die kobaltblaue Schale aus Venedig. Das Gemälde über dem Kaminsims, das einen Baum im Frühling darstellte. Der alte Seidenmorgenmantel ihrer Großmutter, dessen schimmernde Grün- und Rottöne schon etwas verblasst waren. Obwohl sie ihn nie trug, hing er bei ihr im Schrank. Oder die Tassen in ihrer Küche, von denen jede anders war, weil Frieda sie einzeln von ihren langen Streifzügen durch London mitbrachte. Das Mobile aus Papierkranichen, das Chloë für sie gebastelt hatte. Das Stück Treibholz, die alten Londoner Stadtpläne, die angeschlagenen Töpfe und Pfannen, die Halskette, die Sandy ihr geschenkt hatte und die sie schmerzhaft an die glorreichen Zeiten erinnerte, als sie beide noch ein Paar gewesen waren, die Fotoalben … Und natürlich oben in ihrem kleinen Arbeitszimmer auf dem Dachboden ihre ganzen Zeichnungen, mit einem weichen Bleistift auf dickes Papier gebannt: Kritzeleien und rasch hingeworfene Skizzen, aber auch aufwendigere Arbeiten, die alle zusammengenommen eine Art verstecktes Tagebuch ergaben. Hier aber, in Robert Pooles Apartment, gab es fast nichts dergleichen: Abgesehen von den paar Büchern wirkte diese Wohnung wie eine einzige Leerstelle, ein Vakuum, ein Ort ohne Ausdruck und Leben. Vielleicht lag es daran, dass der Mann, der hier gelebt hatte, tot war und dadurch auch seine Wohnung ihre belebende Seele verloren hatte, aber das glaubte Frieda nicht. Sie empfand allein schon die wenigen Minuten, die sie dort verbrachte, als deprimierend und verstörend.
Wer war Robert Poole? Rob, Robbie, Bob, Bertie – jeder nannte ihn anders. Er besaß auch sehr unterschiedliche Kleidung: eine Lederjacke und eine aus Tweed, elegante Halbschuhe und derbe Stiefel, edle maßgeschneiderte Hemden und lässige Sweatshirts.
Wenn die Leute über ihn sprachen, dann redeten sie immer nur von sich selbst – den Eigenschaften, die er an ihnen entdeckt und aus ihnen herausgeholt hatte. Er war ein Zuhörer gewesen, einer, der sich um andere kümmerte, ein barmherziger Samariter. Mary Orton hatte er zwar das Geld abgeknöpft, sich gleichzeitig aber auch
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