Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
Sie musste ohne ihn weitermachen und die Dinge tun, die er hatte tun wollen. Sie war die Zündschnur. Er hatte sie entzündet. Sie war die Zeitbombe – und er hatte sie zum Ticken gebracht. Etwas anderes gab es jetzt nicht mehr.
27
I n den vergangenen zwei Wochen war Joe Franklin in einem wesentlich besseren Zustand gewesen als die Monate oder sogar Jahre zuvor. An diesem Tag trug er eine Jeans und ein gebügeltes Hemd, seine Schnürsenkel waren gebunden, seine Fingernägel sauber und geschnitten, seine Haare gekämmt, Kinn und Wangen frisch rasiert. Für gewöhnlich hing er vornübergebeugt auf seinem Sessel und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, so dass man kaum etwas von ihm sah. An diesem Tag jedoch lehnte er sich zurück und stützte den Kopf gegen die Rückenlehne wie ein frisch Genesener, der sich zwar noch schwach fühlte, gleichzeitig aber spürte, wie seine Lebensgeister langsam wieder erwachten. Er lächelte sogar zweimal – einmal, als er ihr erzählte, wie er als kleiner Junge immer die Teigschüssel ausgeleckt habe, und das zweite Mal, als er ihr berichtete, dass er abends Besuch von einem Freund erwarte und sie miteinander Seeigel essen wollten. »Wussten Sie, dass man Seeigel essen kann?« Nein, dass hatte Frieda nicht gewusst. Ihr fiel auf, wie sehr sich sein Gesicht veränderte und wie viel weicher seine Züge wirkten, wenn sie nicht mehr von Schmerz geprägt waren. Dann sah er gleich um Jahre jünger aus.
Nach Joe kam Alison, eine Schauspielerin, die zwei Jahre zuvor plötzlich von einem akuten, lähmenden Lampenfieber befallen worden war. Sie hatte sich bereits hypnotisieren lassen, einen Heiler um Hilfe gebeten und eine Verhaltenstherapie gemacht. Nun war sie auf Friedas Sessel gelandet, wo sie derart verkrampft dasaß, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten, während sie herauszufinden versuchte, was ihr eine solche Angst machte.
Die letzte Sitzung an diesem Vormittag hatte Frieda mit einem Mann mittleren Alters, der Gordon hieß und nur zwischen den Fingern hindurchflüsterte, als würde er sich ganz schrecklich schämen. Er war gefangen im Netz seiner eigenen Unsicherheiten und Hemmungen, blockiert durch die Knoten, in die er sich selbst eingeschnürt hatte, und Friedas Aufgabe war es nun, sich in seine Welt hineinzubegeben und ihn wieder herauszuholen. Manchmal hatte sie das Gefühl, als versuchte sie eine Burg zu bauen, indem sie mühsam ein Sandkorn auf das andere fügte.
Als die Sitzung zu Ende war, öffnete sie ein paar Augenblicke das Fenster, atmete gierig die feuchtkalte Luft ein und ließ sich vom Wind durchblasen. Auf der freien Fläche gegenüber hatten die Bauarbeiten noch immer nicht begonnen, aber sie sah, dass sich ein paar Jugendliche aus irgendwelchen Brettern einen kleinen Verschlag gezimmert hatten. Während Frieda den Blick schweifen ließ, kamen drei Jungs angelaufen und zwängten sich durch eine Öffnung in das wackelige Bauwerk. Frieda fiel ein, dass die Woche schulfrei war: Chloë hatte in sehr entschiedenem Ton verkündet, dass diesen Freitag keine Chemienachhilfe angesagt sei, weil sie schließlich Ferien habe.
Sie schloss das Fenster wieder und machte sich ihre Notizen zur letzten Sitzung, doch noch ehe sie damit fertig war, klingelte das Telefon. Es war Josef. »Wo bist du?«, fragte sie.
»Bei der Frau«, antwortete er. »Misses Orton. Am Haus ist viel zu tun, ich bessere hier und dort etwas aus.«
»Geht es ihr gut?«
»Kannst du kommen?«
»Gibt es ein Problem?«
Josef antwortete etwas, aber die Verbindung war entweder so schlecht, oder er sprach so leise, dass Frieda nichts verstand.
»Könntest du bitte lauter sprechen?«, bat sie. »Ich kann nicht hören, was du sagst.«
»Du solltest besser herkommen«, erwiderte Josef. »Hast du gleich Zeit?«
»Stimmt etwas nicht?«
»Kannst du gleich kommen?«
Frieda gab auf. »Ja«, seufzte sie, »ich kann gleich kommen.«
Ein Mann, den Frieda nicht kannte, machte ihr auf. Frieda schätzte ihn auf gut fünfzig, sein Haar lichtete sich bereits etwas. Er trug eine graue Kordhose und ein kariertes Hemd. Stirnrunzelnd ließ er sie hinein.
»Ich bin Robin Orton«, stellte er sich vor, während er sie in die Küche führte, wo Mary mit einem zweiten Mann am Tisch saß. Er war ebenfalls sportlich gekleidet: Zu einer schwarzen Jeans trug er einen marineblauen Pulli, dessen Reißverschluss er bis unters Kinn hochgezogen hatte. Er war etwas älter, etwas stämmiger und auch noch etwas kahler als der
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