Eisiges Blut
behandeln?«
»Eleanor?«, flüsterte Frenchie und zupfte sie am Ärmel. »Eleanor!«
Sie drehte sich zu ihm um und sah die silberne Zigarrendose, die er unter seiner Matratze hervorgezogen hatte.
»Nehmen Sie dies!«
Es war dieselbe Dose, die sie damals am Tag des Rennens im
Longchamps Club gesehen hatte. Es trug das makabere Abzeichen der Leichten Brigade, einen Totenschädel und die Inschrift: »Oder Ruhm.«
»Sorgen Sie dafür, dass meine Familie es bekommt, bitte!«
»Eines Tages werden Sie es ihnen selbst geben können«, sagte sie, als er ihr die Dose in die Hand drückte.
»Missus, wir müssen unsere Arbeit machen«, sagte der dicke Pfleger.
Als ein weißhaariger Chirurg auf die Pritsche zueilte, ließ sie das Zigarettenetui in ihre Kitteltasche gleiten. »Was behindern Sie uns hier bei der Arbeit!«, bellte der Arzt und warf Eleanor einen mörderischen Blick zu. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!« Er riss das Laken von Frenchies zerschmetterten Beinen, begutachtete den Schaden nicht länger als eine Sekunde, und sagte dann: »Taylor, legen Sie den Block hin.«
Der Wärter mit den Segelohren nahm einen hölzernen Hackklotz, der vom getrockneten Blut gerötet war, und begann ihn unter das Bein zu stopfen, das amputiert werden sollte. Frenchie heulte vor Schmerzen auf.
»Smith, binden Sie ihm die Arme fest.«
»Und was Sie angeht«, sagte der Chirurg zu Eleanor, »so kann ich mich nicht entsinnen, die Erlaubnis erteilt zu haben, dass Miss Nightingales Schützlinge mich in meinen Krankensälen stören dürfen.«
»Aber Doktor, ich habe doch nur … «
»Für Sie bin ich Hochwürden Dr.Gaines, wenn Sie mich schon belästigen müssen.«
Ein Kleriker
und
Arzt? Selbst in der kurzen Zeit, seit Eleanor im Lazarett diente, hatte sie die frommen Christenärzte mehr fürchten gelernt als alle anderen. Unbestreitbar waren die Vorräte an Chloroform begrenzt, doch für eine Amputation ließ sich immer ein wenig auftreiben. Aber die gottesfürchtigen Chirurgen weigerten sich häufig, es einzusetzen. Für sie waren Betäubungen
jeglicher Art eine Neuheit, und die junge Erfindung diente ihrer Meinung nach nur dazu, den edlen und reinigenden Schmerz zu mindern, den der Herr bestimmt hatte. Sie drehte sich um und sah Frenchie an, dessen Gesicht jetzt, da das Bein hoch gelagert war, rot angelaufen war. Seine Arme waren mit Seilen, die unter der eisernen Bettstelle entlang führten, an den Seiten gefesselt.
Taylor hielt ihm ein Glas Whiskey an die Lippen, aber der größte Teil davon lief über Frenchies zitterndes Kinn.
»Geben Sie ihm den Beißschutz«, befahl der Arzt, während er sich die weiße Schürze hinten zuband. Taylor nahm ein abgenutztes Stück Leder und stopfte es Frenchie zwischen die Zähne. »Beißen Sie besser darauf«, riet er ihm, »oder Sie verlieren auch noch Ihre Zunge.« Er tätschelte ihm freundlich die Schulter und ließ dann seine Hände auf beiden Seiten ruhen, während er sich an das Kopfende des Bettes stellte.
»In Ordnung, Smith«, sagte der Arzt und drückte mit einer Hand auf das erhöhte Knie, »halten Sie bitte das andere Bein fest.«
Mit seinem ganzen Gewicht stützte Smith sich auf das rechte Bein, mit einer Hand auf den Schenkel und der anderen auf das Schienbein, während das linke Bein, wie der Kopf eines Truthahns, über dem Hackklotz lag. Eleanor stand am Fußende des Bettes und sah mit sprachlosem Entsetzen zu, wie Dr.Gaines eine Knochensäge mit hölzernem Griff vom Wagen nahm. Er warf Eleanor einen Blick zu und sagte: »Bleiben Sie ruhig, wenn Sie wollen. Sie können dann hinterher saubermachen.«
Eleanor hatte bereits entschieden, dass sie jetzt nicht gehen konnte. Frenchie starrte sie an, als stünde sein Leben auf dem Spiel, und sie konnte ihn unmöglich allein lassen. Mit groben Handgriffen richtete Dr.Gaines das Bein aus und vergewisserte sich, dass die Stelle ein paar Zentimeter über dem Knie genau in der Mitte des Blockes lag. Während er mit einer riesigen Hand das Bein festhielt, setzte er das gezackte Sägeblatt auf die grün
und violett verfärbte Haut, was Eleanor an einen Violinbogen denken ließ, der auf eine Saite gelegt wurde. Dann holte er tief Luft und begann zu sägen.
Eine Blutfontäne spritzte in die Luft, Frenchie brüllte, und der Beißschutz flog davon. Sein Körper krümmte sich, doch der Doktor machte ungerührt weiter. Noch ehe der erste Schrei verklungen war, hatte er das Sägeblatt wieder zurückgezogen und dabei kräftig nach
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