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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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Taschentüchern vor den Gesichtern beugten sich über den Leichnam des Highlanders und warfen die Enden der schmutzigen Wolldecke über ihn. Zuvor konnte Eleanor noch einen Blick auf sein Gesicht werfen. Es war bleich wie ein weiß getünchter Zaun und die Haut sah aus wie eine getrocknete Frucht, aus der man allen Saft und alles Fruchtfleisch herausgepresst hatte.
    »’n Abend, Missus«, sagte einer der Wärter. »Ich bin’s, Taylor.« Sie erkannte ihn an den abstehenden Ohren wieder und erinnerte sich an Frenchies fatale Amputation. »Smith ist auch hier«, sagte er und deutete auf seinen stämmigen Kameraden, der hastig die beiden Enden der Decke zusammennähte. Sie wusste, dass das schmutzige Tuch dem toten Mann sowohl als Leichentuch als auch als Sarg dienen würde. Seine sterbliche Hülle würde zusammen mit anderen in einem der Massengräber in den nahen Hügeln verscharrt werden.
    Auf drei hoben sie den Leichnam vom Boden hoch, und Taylor kicherte unter seinem Taschentuch. »Der is’ ja leicht wie ’ne Feder.« Sie schlurften aus dem Krankensaal, der eingehüllte Leichnam schwang zwischen ihnen hin und her. Eleanor kniete auf dem neu entstandenen Platz nieder, um Sinclair zu versorgen, der zu ihrer Erleichterung unerwartet besser aussah.
    »Sie und die anderen Krankenschwestern unter Miss Nightingale – wie viele waren Sie?«, unterbrach Michael sie.
    »Nicht viele. Drei Dutzend höchstens«, sagte sie erschöpft.
»Viele wurden krank und gingen. Aber Moira und ich blieben. Ich hatte ein frisches Hemd und ein Rasiermesser für Sinclair gefunden. Ich schnitt ihm das Haar, weil er völlig verlaust war, und dann half ich ihm, sich zu rasieren.«
    »Er muss sehr dankbar gewesen sein.«
    »In meiner Tasche hatte ich ein Fläschchen Morphium.«
    »Haben Sie es ihm gegeben?«
    Sie warf ihm einen unsicheren Blick zu. »Nein. Ich fand, er sah so erholt aus, dass ich es aufbewahren wollte … falls er einen Rückfall erlitt und es dringender bräuchte.« Sie hob ihren Blick zu Michael. »Es war sehr schwer zu beschaffen.«
    »Das ist es immer noch«, sagte Michael. »Daran hat sich nichts geändert. Aber offensichtlich hat er sich wieder erholt«, fuhr er fort. »Sie müssen sehr froh darüber gewesen sein … und auch stolz.«
    »Stolz?« Worauf hätte sie stolz sein sollen? Niemals wäre es Eleanor in den Sinn gekommen, dieses Wort zu verwenden. Seit sie sein schreckliches Verlangen kannte, und sobald sie angefangen hatte, ihm dabei zu helfen, es zu befriedigen, hatte sie niemals wieder Stolz empfunden.
    Und seit sie dieses Verlangen ebenfalls verspürte, empfand sie nichts als eine immerwährende Schande.
    »Was haben Sie getan, nachdem er wieder gesund und der Krieg vorbei war? Sind Sie beide nach England zurückgekehrt?«
    »Nein«, sagte sie, und ihre Gedanken schweiften einen Moment lang ab. »Wir sind niemals wieder nach Hause gekommen.«
    »Warum nicht?«
    Wie hätten sie zurückkehren können, angesichts dessen, was und wer sie geworden waren? Kaum hatte Sinclair sich erholt, hatte sich Eleanors Zustand verschlechtert. Das Fieber im Krankensaal hatte sie nicht verschont, und am nächsten Morgen hatte Eleanor bereits unter den ersten Symptomen gelitten. Ein
leichtes Schwindelgefühl, die warme, klebrige Haut. Sie tat ihr Bestes, um es zu verbergen, denn sobald sie von ihren Pflichten entbunden wäre, würde sie Sinclair nicht mehr sehen können. Doch als sie zu ihm ging, mit einer Schale Hafersuppe, war sie über ihre eigenen Füße gestolpert, hatte die Suppe verschüttet und wäre beinahe über ihm zusammengebrochen. Sinclair hatte sie festgehalten und um Hilfe gerufen.
    Schließlich war ein Krankenwärter mit einem Taschentuch vor dem Gesicht herbeigetrottet, einen Zigarrenstummel hinters Ohr geklemmt. Als er sah, dass es Eleanor war, die seine Hilfe brauchte, und nicht ein weiterer sterbender Soldat, hatte er seine Schritte beschleunigt.
    Sinclair hatte bekümmert ausgesehen, und sie hatte trotz ihrer eigenen Not versucht, ihn zu beruhigen und ihm versichert, dass es ihr gut gehe. Sie wurde zum Schwesternquartier im Turm begleitet, und Moira hatte sie sofort ins Bett gesteckt und ihr ein Glas Portwein an die Lippen gehalten. Es war Eleanor immer noch ein Rätsel, wo die Freundin solche Dinge aufgetrieben hatte. An das, was in der nächsten Woche geschah, erinnerte sich Eleanor kaum, nur Moiras besorgtes Gesicht, das über ihr schwebte … und, in einer unvergesslichen Nacht, Sinclairs.
    Die Maschine

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