Eisiges Blut
von den Hiwis sein. Von denen kannte er nur wenige näher, und ein paar von ihnen nur mit ihren Spitznamen wie Moose oder T-Bone. Außerdem hatte Charlotte ihm keine genaue Anweisung gegeben, auf was er das Blut testen sollte, und das war mehr als ärgerlich. Als ob sie nicht wüsste, dass er selbst genug zu tun hatte.
Glücklicherweise war das meeresbiologische Labor mit allem ausgestattet, wovon ein Hämatologe nur träumen konnte. Neben der hochmodernen Zentrifuge stand ihm ein leistungsstarkes Analysegerät zur Verfügung, das die monoklonale Bestimmung, die Fluoreszenzfärbung und die weiterentwickelte optische Auszählung der Blutplättchen auf einen Schlag erledigen konnte. Darryl machte alle üblichen Tests, bestimmte die Konzentration der Alanin-Aminotransferase und der Triglyceriden und alles, was sonst noch dazugehörte. Er wollte Charlotte die Ergebnisse einfach auf den Tisch knallen, doch als er die Ausdrucke überflog, stutzte er. In mancherlei Hinsicht könnte er genauso gut die Analyseergebnisse einer seiner Proben aus dem Meer vor sich haben. Während in einem Kubikmillimeter menschlichen Blutes normalerweise etwa fünf Millionen rote und siebentausend weiße Blutkörperchen zu finden waren, war es bei dieser Probe nahezu umgekehrt. Wenn die Ergebnisse stimmten, war sein neu entdeckter Fisch im Vergleich zu Charlottes Patienten geradezu heißblütig.
Er war überzeugt, dass die Ergebnisse nicht richtig sein konnten oder dass er versehentlich die Proben vertauscht hatte.
Himmel,
dachte er,
vielleicht habe ich schon das Große Auge und habe
es noch nicht einmal gemerkt
. Er würde Michael bitten, ihn einem Realitätstest zu unterziehen. Nur um zu sehen, ob die Geräte in Ordnung waren, führte er die Tests mit einer Probe seines eigenen Blutes durch. Die Ergebnisse waren in Ordnung. Seine Cholesterinwerte waren, stellte er erfreut fest, sogar noch niedriger als gewöhnlich. Anschließend analysierte er den Rest der Probe von E. A. noch einmal. Die Ergebnisse waren die gleichen wie zuvor.
Wenn das menschliches Blut war, müsste allein die Toxizität den Patienten längst umgebracht haben.
Vielleicht musste er einfach mal eine Weile aus dem Labor raus, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Seit seinem letzten Besuch in der Tauchhütte, wo Danzig ihn beinahe ertränkt hätte, hatte er sich in seinem Labor verkrochen. Seine Kopfhaut und die Ohren schmerzten immer noch von den leichten Erfrierungen, und als Vorsichtsmaßnahmen hatte er ein blutverdünnendes Mittel und Antibiotika genommen. Am Südpol konnte einen die kleinste Unachtsamkeit, wie eine blaue Stelle am Zeh oder ein brennendes Gefühl an den Fingerspitzen, eine Gliedmaße oder gar das Leben kosten. Das anhaltend schlechte Wetter ließ Aktivitäten im Freien nicht gerade verlockend erscheinen. Während er die Ausdrucke mit den Laborergebnissen in die Tasche seines Parkas stopfte, fragte sich Darryl, wie die Belegschaft von Point Adélie, die hier überwinterte, es schaffte zu überleben. Sechs Monate schlechtes Wetter war schlimm genug, aber sechs Monate schlechtes Wetter ohne Sonne war kaum vorstellbar.
Draußen war der Wind so stark, dass Darryl sich mit seinem ganzen Körpergewicht dagegenlehnen konnte und trotzdem aufrecht stehen blieb. Er senkte den Kopf und kämpfte sich langsam voran, wobei er sich an den Führungsleinen festhielt, die zwischen den Laboren und den Gemeinschaftsgebäuden gespannt waren. Zu seiner Linken brannten helle Lichter in Ackerleys botanischem Labor. Ihm fiel auf, dass er Ackerley schon länger
nicht mehr gesehen hatte, und dachte, dass er vielleicht kurz bei ihm hereinschauen und Hallo sagen könnte. Bei der Gelegenheit konnte er auch gleich ein oder zwei frische Erdbeeren stibitzen.
Als er den Holzzaun vor dem Gebäude erreichte, musste er sich festhalten und eine besonders kräftige Windböe abwarten, dann rannte er mit Schwung die Rampe hinauf und ins Labor hinein. Ackerley hatte sich einen Vorhang aus zwei Lagen dickem Plastik gebastelt, um den Luftzug zu mindern. Nachdem Darryl durch die Barriere getreten war, umfing ihn die vertraute feuchte Hitze und das helle Licht des Labors.
Ich sollte öfter hierherkommen,
dachte er.
Es ist wie ein Urlaub in der Südsee
.
»He, Ackerley«, rief er, während er die Schuhe auf der Gummimatte abklopfte. »Ich brauche noch ein paar Salatzutaten.«
Doch die Stimme, die ihm antwortete, war nicht Ackerleys, sondern Lawsons, der von einigen Metalltrennwänden verdeckt
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