Eisiges Blut
durch die matschigen Straßen Londons. An der Ecke zur Harley Street, in der eine gewisse Miss Florence Nightingale kürzlich ein Spital für mittellose Damen eröffnet hatte, blieb Sinclair stehen. Er beobachtete eine hübsche junge Frau mit weißer Haube, die sich vorbeugte, um die Fenster im dritten Stock zu schließen. Sie hatte ihn ebenfalls entdeckt; sie hatte wohl seine Epauletten und die Goldknöpfe im Dämmerlicht aufleuchten sehen. Er lächelte ihr zu. Sie zog den Kopf ins Innere zurück, und die Fensterläden schlossen sich. Doch zuvor hatte sie sein Lächeln erwidert.
»Kommen Sie!«, rief Rutherford ihm zu. Er war inzwischen schon ein ganzes Stück weitergegangen. »Ich bin am Verhungern.«
Sinclair schloss zu seinen Kameraden auf, und zusammen wankten sie den verlockenden Lichtern der Turtle Taverne entgegen. Ein hölzernes Schild, auf dem eine hellgrüne Schildkröte
abgebildet war, die unerklärlicherweise auf den Hinterbeinen stand, schwang über der Tür hin und her. Aus dem Schankraum hörte Sinclair lautes Stimmengewirr und das Klappern von Bechern und Besteck.
Krachend flog die Tür auf, und ein äußerst beleibter Herr mit Zylinder stürzte heraus. Rutherford hielt die Tür für Sinclair und Le Maitre weit geöffnet.
Lange Tische auf Holzböcken nahmen fast die gesamte Länge des niedrigen Raumes ein, und in dem gewaltigen gemauerten Kamin brannte ein knisterndes Feuer. Kellner mit fettverschmierten Wämsern bewegten sich mit Servierplatten voll geröstetem Huhn und blutigem Roastbeef zwischen den Speisenden hindurch. Gäste klopften mit den leeren Bierkrügen auf die hölzerne Tischplatte, um zu zeigen, dass sie Nachschub brauchten. Doch Sinclair war weder hungrig noch durstig.
»Rutherford, leihen Sie mir einen Fünfer.«
»Wofür? Ich habe doch gesagt, dass ich zahle.«
»Ich gehe nach hinten.«
Beinahe alle Tavernen hatten einen Kampfplatz im Hinterhof, doch der des Turtles war besonders gut besucht. Mit ein bisschen Glück würde Sinclair die Summe zurückgewinnen, die er beim Kartenspiel verloren hatte.
»Sie sind unverbesserlich«, erwiderte Rutherford, während er bereitwillig seine Geldbörse zückte.
»Ich komme mit«, sagte Le Maitre, und Rutherford zog ein entsetztes Gesicht.
»Sie werden mich doch wohl nicht beim Dinner allein lassen?«
»Es wird nicht lange dauern«, sagte Sinclair, während er Le Maitre am Arm zur Hintertür der Taverne zog. »Wir sind bald mit unseren Gewinnen zurück.«
Der schmutzige Gang hinter der Taverne war mit Knochen und Abfällen übersät und führte zu einem alten Stall, der in einen
Kampfplatz umgewandelt worden war. Drinnen war es unerträglich heiß, und es stank bestialisch. Gaslampen auf Eisenstreben beleuchteten das Gesindel, das sich um die quadratische Grube von viereinhalb Metern Länge und gut einem Meter Tiefe drängte.
Der Schiedsrichter, mit nacktem Oberkörper und einem tätowierten Union Jack auf dem Rücken, stand in der Mitte und kündigte gerade den nächsten Kampf an. Der Sand auf dem Boden war nass vom Blut und Speichel und mit zerfetzten Fellstückchen übersät.
»Wir haben Duke, den Schwarz-Braunen«, rief er, »und wir haben Whitey! Wenn Sie bitte Platz machen, Gentlemen, dann bekommen Sie Gelegenheit, einen Blick auf die feinen Tiere zu werfen, ehe Sie Ihre Wetten abschließen!«
Die Menge teilte sich und öffnete eine schmale Gasse für zwei Männer mit Pitbulls an kurzen Ketten. Die Hunde trugen Maulkörbe und zerrten wie wild an ihren Leinen, als sie bis zum Rand der Grube geführt wurden. Ihre Besitzer mussten ihre ganze Kraft aufwenden, um sie daran zu hindern, in den Sand zu springen oder aufeinander loszugehen.
»Duke hier stammt aus der Rosemary-Linie«, verkündete der Boss, »und Whitey, nun Whitey ist der Stolz von Ludgate Hill. Zwei erstklassige Champions, die einen ausgeglichenen Kampf versprechen. Und jetzt Ihre Einsätze bitte!«, rief er. »Wenn Sie jetzt bitte setzen würden!«
Er sprang aus der Grube und rollte ein Fass an den Rand.
»Haben Sie schon einmal einen der beiden kämpfen sehen?«, wollte Frenchie wissen und beugte sich dicht an Sinclairs Ohr, damit dieser ihn trotz des Lärms verstand.
»Ja. Ich habe einmal auf Whitey gesetzt und gewonnen«, erwiderte Sinclair und gab einem vorbeikommenden Buchmacher ein Zeichen. »Fünf auf Whitey!«
»Machen Sie zehn draus!«, schloss Frenchie sich an.
Der Buchmacher tippte an seine Kappe. Da es sich bei den beiden Männern eindeutig um
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