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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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jetzt«, sagte sie zu Darryl und stieß die Nadel durch die mit Sommersprossen übersäte Haut seines Oberarms.
    »Warten Sie zehn Minuten«, sagte sie, »dann müssten Sie die Wirkung spüren.«
    Sie steckte die Kanüle in eine orange Plastikhülle und die Flasche zurück in die Tasche. Zum ersten Mal sah sie sich um und schien die Kabine richtig wahrzunehmen. »Mann, das sieht ja aus, als hätte ich tatsächlich das beste Zimmer an Bord bekommen. Ich habe es nicht geglaubt, als Lieutenant Healey es mir erklärte, aber jetzt weiß ich es.« Sie rümpfte die Nase, als eine Duftwolke von der Toilette herüberwehte. »Habt ihr Jungs schon mal was von Sagrotan gehört?«
    Michael lachte, und selbst Darryl lächelte schwach. Nachdem sie gegangen war, zog Michael seinen Parka, Stiefel und Handschuhe an. In der Kabine roch es übel, und es war stickig. Und was draußen vor sich ging, war einfach zu verlockend, als dass er hätte länger widerstehen können.
    Darryl drehte den Kopf zur Seite und sah ihn misstrauisch an. »Was hast du jetzt vor?«, krächzte er.
    »Arbeiten«, sagte Michael und schob eine kleine Digitalkamera tief in die Tasche seines Parkas. Bei der Kälte konnten die Akkus rasch ihren Geist aufgeben. »Kann ich vorher noch irgendetwas für dich tun?«
    Darryl verneinte. »Ruf nur meine Frau an und richte ihr aus, dass ich sie und die Kinder immer geliebt habe.«
    Michael hatte ihn noch nicht nach seiner Familie gefragt. »Wie viele Kinder hast du?«
    »Nicht jetzt«, sagte Darryl und winkte ab. »Ich kann mich nicht mehr erinnern.«
    Vielleicht wirkte das Medikament schneller als erwartet.
    Michael ließ das Licht in der Kabine an und machte sich vorsichtig auf den Weg durch den Korridor und dann nach oben durch die Luke. Er wollte weiter in Richtung Brücke gehen, weil er hoffte, ein paar anständige Aufnahmen zu bekommen, wenn er sich aus einem Bullauge oder einer Tür lehnte. Doch in diesem Moment fiel sein Blick durch eine Schiebetür, und er sah ein perfektes Bild von grauem Meer und grauem Himmel, die scheinbar nahtlos ineinander übergingen, so dass der Horizont nicht zu erkennen war. Ein Anblick, der die Welt eintönig und unbestreitbar trostlos erscheinen ließ.
    Er sah bereits die fertige Aufnahme vor sich.
    Nachdem er die Kapuze zurückgeschoben hatte, tastete er mit den behandschuhten Händen nach der Kamera und hängte sie sich um den Hals. Er musste beide Hände benutzen, um den Türgriff zurückzuziehen, und als die Tür nur wenige Zentimeter offen stand, drang der Wind bereits ein und schien ihn am Kragen zu packen. Wahrscheinlich war das keine gute Idee, aber einige seiner besten Bilder waren Ergebnisse schlechter Einfälle. Er zog kräftiger und schlüpfte dann durch den Spalt hinaus. Kaum hatte er die Tür losgelassen, als sie auch schon wieder hinter ihm zuschlug.
    Er befand sich auf dem Deck genau unterhalb der Brücke. Eiswasser umspülte seine Füße, und der Wind traf ihn so heftig, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen und die Stirn brannte. Er schlang einen Arm um einen Metallpfeiler und zog einen Handschuh mit den Zähnen aus, doch das Schiff schlingerte zu stark, als dass er die Kamera ruhig halten konnte. Jedes Mal, wenn er auf den Auslöser drücken wollte, geriet ihm ein Teil des Schiffs ins Bild. Das wollte er nicht. Er wollte nicht, dass sich etwas Konkretes ins Bild drängte. Er wollte eine reine, fast abstrakte Darstellung der leeren, gleichgültigen, allmächtigen Natur.
    Er wartete, bis das Schiff erneut auf eine Woge traf, dann stürzte er sich auf die nächste Haltemöglichkeit, eine stählerne Armatur, die eines der Riggs für die Rettungsboote beherbergte. Von dort aus hatte er einen ungehinderten Blick über die Reling. Doch die eiskalte salzige Gischt schlug ihm ins Gesicht und ergoss sich über die Kamera. Er schlang einen Arm um die Reling, wie er es zuvor bei dem Pfeiler gemacht hatte, und hob die Kamera. Genau in diesem Augenblick neigte sich das Schiff um fünfundvierzig Grad zur Seite, und alles, was er sah, war der sturmverhangene Himmel. Er schob sich ein, zwei Schritte nach vorn, wartete, dass das Schiff sich wieder aufrichtete. Seine Finger waren bereits eiskalt, und er konnte den Mund nicht zum Luftholen öffnen, ohne dass der Wind ihm den Atem raubte. Er machte eine Aufnahme, obwohl das Schiff sich immer noch zu sehr neigte, und wollte gerade erneut auf den Auslöser drücken, als es aus einem Megaphon direkt über ihm schallte: »MrWilde! Gehen

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