Eisiges Feuer (German Edition)
besaß.
15.
Wenige Wochen später herrschte wieder Alltag auf Weidenburg. Lys hatte schon bei seinem Einzug Befehl gegeben, die Verteidigungsanlagen, die teilweise verfallen oder von Unkraut überwuchert waren, zu erneuern und auszubauen. Im Winter hatten viele Arbeiten ruhen müssen, doch nun wurde das Wetter milder, auch wenn der Frühling noch in weiter Ferne lag. Seinen wenigen Soldaten legte er harte Übungspflichten auf, denen er sich allerdings auch selbst unterwarf und dadurch Unmut verhinderte. Gleichzeitig plante er unentwegt im Voraus, seine vielfältigen Ziele stets vor Augen.
Er spürte die Erschöpfung in allen Knochen, als er sich an diesem Abend früh in sein Schlafgemach zurückzog. Das durchgeschwitzte Hemd ließ er zu Boden fallen und tauchte den Kopf kurzerhand in die Waschschüssel, genoss die Kälte des Wassers, und wusch sich dann allen Schmutz und Schweiß ab. Das Gefühl, nicht allein zu sein, warnte ihn. Lys trocknete sich weiter ab, griff dabei jedoch wie zufällig zu seinem Dolch, die einzige Waffe, die er bei sich hatte. Bevor er sie allerdings erreichen konnte, wurde er von hinten gepackt – doch die Hände hielten ihn nur und verletzten ihn nicht. Kirian! Lys blieb still stehen, wagte nicht, sich umzuwenden, von plötzlicher Angst erfüllt, die er nicht beherrschen konnte.
„Zitterst du vor Kälte, aus Vorfreude, oder weil du mich fürchtest?“, flüsterte die Stimme, die er so sehr liebte.
„Alles zugleich“, erwiderte er ebenso leise, ließ zu, dass er umgedreht wurde. Er wollte aufblicken und konnte es nicht, die Erinnerung an die Stunden voller Schmerz und Todesangst, an das eisige Feuer des Hasses, das in Kirians Gesicht gebrannt hatte, war zu stark.
Eine plötzliche Bewegung ließ ihn zusammenfahren – Kirian war vor ihm auf die Knie gesunken, beugte den Kopf zu Boden. Mehrere Augenblicke lang starrte Lys ihn nur an, dann kniete er
sich zu ihm nieder, strich ihm das schwarze Haar aus dem Gesicht.
„Nicht“, wisperte er, „tu das nicht. Du demütigst dich vor niemandem!“
„Das habe ich auch immer gedacht, aber du bringst meine Welt durcheinander. Ich habe nicht einmal vor dem König gekniet, aber bei dir …“ Ihre Blicke begegneten sich, und Lys verlor sich einmal mehr in der dunklen Glut, die von Traurigkeit erfüllt war. „Vergib mir, Lys. Ich hätte dir das nicht antun dürfen.“
„Es war mein Fehler. Ich wollte diesem unfähigen Haufen, mit dem mein Schwiegervater mich gestraft hat, zu sehr beweisen, dass ich ein Fürst sein kann. Die ganze Welt sollte sehen, dass ich das Spiel beherrsche. Ich habe meine Rolle zu gut gespielt.“ Er zog Kirian an seine Schulter, strich ihm über den Kopf und hielt ihn einfach nur fest in den Armen. „Wie geht es Albor? Er ist doch hoffentlich …?“
„Der ist wohlauf, schlägt jeden, der auch nur mitleidig in seine Richtung zu blinzeln wagt, mit seinem Gehstock. Er schickt dir Grüße und seinen innigsten Dank.“ Sie blieben lange so sitzen. Es war ungewohnt für sie beide, dass Kirian tröstend gehalten wurde und auf Gnade hoffte, und schließlich beschloss Lys, dass es Zeit war, ihn zu erlösen. „Versprich mir etwas, und ich vergebe dir“, flüsterte er, während er ihm Wange und Stirn mit Küssen bedeckte. „Sollte ich mich jemals in meiner Rolle verlieren und ein echter Fürst werden, ohne Herz und Gnade, und dich, deine Leute oder irgendeinen anderen Menschen opfern, weil es nützlich für mich ist, dann schlage mich so lange auf eben diese Weise wie in eben dieser Nacht, bis ich wieder bei Verstand bin.“
Verblüfft starrte Kirian ihn an, dann lachte er leise, hob Lys ohne weitere Mühe hoch und trug ihn zum Bett.
„Ich schwöre es“, sagte er, und küsste ihn innig, genoss, wie dieser Mann widerstandslos dahin schmolz. Die Furcht aus seinem Blick verschwand.
„Warum müssen wir eigentlich so leise reden? Die Wände deiner Burg sind doch recht dick?“, fragte er rasch, um sich selbst von diesem Albtraum abzulenken.
„Mein Kammerdiener“, murmelte Lys. „Wie so ziemlich alle meine Bediensteten ist er mindestens so alt wie die Sonne und sturer als ein Esel. Bitte ich ihn, etwas zu tun, stellt er sich taub. Er erfüllt seine Pflichten nur, wenn man ihm mit Mord droht. Niese ich allerdings nachts im Schlaf dreimal ins Kissen, ohne aufzuwachen, wohlgemerkt, steht er auch schon mal mit Extradecken, Hustentee und Brokla-Saft an meinem Bett. Ich hasse Brokla-Saft.“
„Wer nicht?“ Kirian
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