Eisiges Feuer (German Edition)
ich habe es gesehen! Wann immer sich Streit anbahnte, habt Ihr mit einem leichten Scherz, Spott oder irgendeiner Ablenkung dafür gesorgt, dass alles sich entspannte. Ihr habt den Mob um eine Hinrichtung betrogen und es so gedreht, dass alle Euch dafür bewundert und gefürchtet haben. Ihr seid nicht schwach.“
„Lügen, Tomar. Alles Lügen. Sie ändern nichts an meiner Schwäche.“ Das viele Sprechen hatte Lys’ Stimme nun vollends erschöpft, Tomar musste ihm die Worte regelrecht von den Lippen lesen. Er sah die bitteren Tränen, die Schmerzen, die sein Herr litt, spürte seine tiefe Verzweiflung.
„Ihr müsst nur ausruhen, Herr, danach werdet Ihr Euch wieder allen Feinden stellen können. Vielleicht sind es Lügen, aber nur so könnt Ihr überleben! Ihr seid der mutigste Mann, den ich kenne, ich bin stolz, Euch dienen zu dürfen.“
Lys wandte sich von ihm ab, Resignation und Verneinung spiegelte sich in seinem Gesicht.
„Herr? Gebt nicht auf, bitte! Ich folge Euch, wohin Ihr wollt, ich werde Euch dienen, ganz gleich, ob Ihr König oder Provinzverwalter oder ein Bettler seid. Ihr müsst mich für meine Nachlässigkeit bestrafen, Herr, es ist wichtig!“
„Du scheinst den Stock zu lieben …“, wisperte Lys mit einem schmalen Lächeln. Tomar schüttelte hastig den Kopf.
„Nein, ich sehne mich nicht nach Schlägen, ich will bloß nicht, dass Eure Mühen umsonst waren. Dieser Kirian soll Euer Werk nicht vernichten, Euch nicht den Respekt der Männer stehlen.“
„Du bist ein guter Mann, Tomar. Sag den anderen, ich strafe dich nicht, weil du der einzige bist, der meine Wunden pflegen kann. Die Strafe für die anderen ist ausgesetzt, bis ich wieder erholt bin. Wenn ich sie dann vergesse, ist es unnötig, mich zu erinnern …“
Tomar erwiderte das kurze verschmitzte Lächeln, das ihn schon wieder an seinen Sohn denken ließ. Ein guter Junge, und der einzige Grund, warum Tomar trotz all seiner Verfehlungen und Schwächen immer noch in der Burgwache von Lichterfels bleiben durfte. In seiner Jugend war Tomar ein gut aussehender Mann gewesen, der sogar für kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Fürstin erregt hatte. Untreue war nichts Ungewöhnliches in Adelskreisen, in denen nur selten aus Liebe geheiratet wurde. Lediglich eine gewisse Diskretion war erwünscht, vor allem, wenn der Ehebruch bleibende Folgen hatte, wie auch in diesem Fall. Die Frucht dieser unstandesgemäßen Aufmerksamkeit war nicht von Archym anerkannt worden, deshalb hatte Tomar den Jungen zu sich genommen und gemeinsam mit seiner späteren Frau großgezogen.
Er riss sich zusammen. Die Fürstin, die er geliebt hatte, war tot. Sein Sohn arbeitete in der Burgküche und hatte längst eine eigene Familie gegründet. Seine Frau war vor Jahren an einem Fieber gestorben. An Lys musste er jetzt denken! Der war mittlerweile eingeschlafen, sein verkrampfter Körper entspannte sich.
Die Götter mögen Euch schützen, Herr. Ich wünschte, ich könnte diesen Kirian in Stücke reißen für das, was er Euch angetan hat!
„Im Moment noch keine Strafen“, verkündete Tomar den anderen später und erzählte ihnen von Kirian, dem Tollkühnen, wie knapp ihr Herr dem Tod entgangen war und von seiner Tapferkeit, mit der er alles ertrug.
„Was ist da wirklich abgelaufen? Gestern hast du ihn gefürchtet, jetzt bewunderst du ihn“, fragte Almur, als sie einen Augenblick für sich waren.
„Ich habe erkannt, dass er kein Dämon ist, sondern ein guter Mann. Beobachte ihn, Almur, und du wirst vielleicht verstehen, was für ein Spiel er treibt. Er ist mehr als bewundernswert. Für ihn würde ich sterben.“
Lys spürte schon bald, dass die Einstellung der Soldaten sich grundlegend geändert hatte. Er gönnte sich nur wenige Tage Ruhe, bevor er den Befehl zur Weiterreise gab, auch wenn ihn das viel Kraft kostete. Die Männer begegneten ihm mit Respekt, der schon fast an Verehrung grenzte. Sie gehorchten jedem Befehl, beobachteten ihn, um seine Wünsche schon im Voraus zu erahnen. Ähnliches kannte er bislang nur von Robans Männern, die mit seinem Bruder zusammen in den Krieg gezogen waren.
Und zum ersten Mal glaubte er wirklich daran, dass er dieses Spiel möglicherweise überleben würde – falls Kirian ihm verzieh, dass er ihn nun ebenfalls für seine Intrigen missbrauchte.
14.
Nach ereignisloser Reise erreichten sie endlich Weidenburg. Lys atmete tief durch. Er hatte sein Pferd dem Knecht übergeben, seine Eskorte verabschiedet, seine
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