Eisiges Feuer (German Edition)
zum Schlafen zu bringen, ihr eingeredet, ihr Kettenanhänger – ich habe ihn selbst gemacht – besitze magische Kräfte, die sie vor allem Übel bewahren könnten. Mir vertraute sie, und nur mir. Ich brachte sie dazu, ihr Pony nicht als Feind anzusehen und das Reiten zumindest zu versuchen. Ich zeigte ihr, wie man sich Hunde zum Freund macht und hielt sie fest, wenn sie sich vor Blitz und Donner fürchtete. Für sie habe ich Drachen gejagt und so getan, als würde ich all ihre kindlichen Fantasiemonster töten können.“
„Du warst ihr ein guter Bruder“, sagte Lys, doch Kirian schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, eben nicht! Ich wusste doch, was ich ihr antue. Sie hatte sich schließlich nur noch an mich geklammert, niemand sonst durfte ihr etwas sagen. Wenn ich auf einen Feldzug gehen musste, hat sie wochenlang geweint und das Essen verweigert und wurde erst wieder froh, wenn ich heimkehrte. Sie vertraute darauf, dass ich immer zu ihr zurückkommen würde, ich, ihr Drachentöter. Der Kummer stand schon auf der Schwelle, ich sollte bald heiraten, dann hätte sie mich teilen müssen. Stattdessen aber wurde ich aus heiterem Himmel als Dieb angeklagt, vor ihren Augen ausgepeitscht und fortgejagt. Und diesmal kam ich nicht zurück. Der Drachentöter war gefallen. Elyne verlor an diesem Tag keinen Bruder, sondern all das, was Sicherheit für sie bedeutete. Ich hätte härter sein müssen, Lys. Weniger Drachen töten. Sie dazu drängen, sich ihren Ängsten zu stellen, statt sie davor zu beschützen. Mir war einfach nicht klar gewesen, dass ich nicht unsterblich und unverwundbar bin.“
Lys ergriff seine Hand und drückte sie. „Warum bist du nie zu ihr zurückgegangen?“, fragte er.
„Ich war wie vor den Kopf geschlagen, als man mich verstieß. Die Anklage war so lächerlich, ich sollte einen Ring gestohlen haben. Tagelang irrte ich umher, ohne Ziel. Ich wollte sterben und wusste nicht wie. Bis ich eines Abends einen Mann sah, der sich von einer Klippe in die Tiefe stürzen wollte – Albor. Auch er hatte alles verloren, was er liebte und wusste nicht mehr weiter. Ich habe ihn von dort weggezogen und beschlossen, ein neues Leben zu beginnen. Dafür musste ich aber das Alte vollkommen hinter mir lassen. Etwa ein Jahr später bin ich nachts zu Elyne gegangen, um nach ihr zu sehen. Sie schien so zufrieden zu sein … also wollte ich sie nicht mit der Vergangenheit quälen, ihr ebenfalls ein neues Leben ermöglichen. Wann immer ich sie allerdings später sah, war sie ein noch schlimmeres Biest geworden, spöttisch, überheblich, immerzu wütend. Elyne hatte gelernt, selbst ein Drache zu sein, wenn etwas ihr Angst machte. Sie stieß mich ab.“
„Ich glaube es dir. Aber es ist nicht deine Schuld, Kirian. Du wolltest nicht fortgejagt werden, und du warst niemals allein dafür verantwortlich, wie sie aufwächst. Elyne gehört sich selbst, es ist ihre Entscheidung, wer sie ist. Nichts, was du tust oder lässt, wird daran etwas ändern.“
Kirian drückte ihm noch einmal fest die Hand, dann löste er sich.
„Du tust mir gut. Wenn du es aussprichst, kann ich es sogar fast glauben.“
Beide schraken zusammen, als sie ein Geräusch hörten. Schritte? War jemand hier? Sie zogen lautlos ihre Waffen und krochen an den Rand der flachen Mulde. Nichts war zu sehen, doch sie wussten beide, sie waren nicht mehr allein. Plötzlich schlug ein Pfeil dicht neben Kirians Kopf ein.
„Keine Bewegung! Ihr seid umstellt!“
Von allen Seiten bewegten sich Soldaten auf sie zu, in einem lückenlosen Ring. Kirian steckte die Klinge zurück und setzte sich scheinbar gelassen zu Boden.
„Ich werde es nicht tun“, wisperte er Lys zu. „Diesmal nicht. Ich gehe mit dir.“
Lys gab keine Antwort, er starrte auf die Männer, die ihn mit Pfeilen anvisierten. Ausnahmslos alle trugen das Wappenzeichen eines springenden Berglöwen. Das Wappen von Corlin.
30.
Lys hielt den Hauptmann der Garde von Corlin die ganze Zeit im Blick, während ein junger Soldat, den er nicht kannte, ihm grob die Waffen abnahm und seine Hände auf dem Rücken fesselte. Dorians Haare waren grau geworden im Laufe der Jahre, doch noch immer war er der Mann, der Lys das erste Holzschwert geschnitzt hatte. Der ihm beibrachte, mit Kurzschwert und Bogen zu kämpfen, auf dem Boden wie auf dem Rücken eines Pferdes. Dorian hatte ihn aufgefangen, als sein Vater und Roban nach dem Mord an der Mutter zu sehr mit sich selbst
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