Eisiges Feuer (German Edition)
leben, Lys von Corlin, verstehst du das nicht? Ich habe dich zweimal um ein Haar verloren, einmal, weil ich dir nicht vertraut und einmal, weil ich nicht genug auf die Straße geachtet habe. Du kannst dir nicht vorstellen, was das in mir alles zerstört hat. Hier, ganz tief in mir drin.“ Er schlug sich wuchtig auf die Brust. Unter seinem flammenden Blick schmolz Lys’ Widerstand dahin. Er nickte stumm, biss sich auf die Lippen, um die Tränen zurückdrängen zu können. Aufgewühlt riss Kirian ihn zu sich, hielt ihn fest, so fest er nur konnte. „Wir zwei gemeinsam, verstanden? Wir zwei gegen diese verdammte Welt, und sie sollen wagen uns aufhalten zu wollen!“, flüsterte er und küsste Lys’ Stirn.
„Zusammen“, erwiderte der. „Die Götter wissen, ich würde dich lieber heil und gesund bei deinen Leuten sehen. Aber ich bin froh, dass du bei mir bist.“
Sie schlichen näher heran, so weit die Deckung reichte. Es gab hier keinen Baumwuchs, lediglich niedriges Gebüsch, das die Straße säumte. Es war eine recht kleine Burg, doch gut geschützt von hohen Mauern und einem gepflegten Graben. Auch nachdem sie die gesamte Anlage einmal umrundet hatten, fand sich keine Schwachstelle, die sich für einen nächtlichen Einbruch empfahl.
„Hm – wir sollten uns vielleicht eine gute Verkleidung zulegen und tagsüber durch das Tor einschleichen. Es könnte schwierig werden, diesen Graben zu durchschwimmen und dann noch eine zehn Schritt hohe, ziemlich glatte Mauern zu überwinden“, murmelte Kirian nachdenklich.
Lys grinste ihn an. „Sprich es aus. Sag: Ich selbst könnte leicht wie eine Katze da hoch, aber du wirst mir nicht folgen können, also lassen wir es lieber.“
„Fängst du jetzt schon an, Gedanken zu lesen?“ Kirian erwiderte das Grinsen. „Nun gut. Ich könnte es. Du nicht.“
„Und was würde den größten Sheruk aller Zeiten hindern, dort hochzuklettern und dem ungeschickten Fürstenbengel ein Seil zuzuwerfen? Dürfte uns weiterbringen als Verkleidungsspiele, oder?“
„Och, ich dachte daran, dich in eine Priesterrobe zu stecken. Sicherlich würde dir blau ausgezeichnet stehen.“
Lys boxte ihm in den Rücken, musste aber selbst bei der Vorstellung lachen. „Das heben wir uns dann für die nächste Burgstürmung auf, in Ordnung?“
„Ich werde dich daran erinnern, Kleiner.“
Sie mussten sich ducken, als eine Reitergruppe die Straße entlangkam und auf die Burg zuhielt.
„Lass uns ein wenig mehr Abstand suchen“, flüsterte Kirian, und sie entfernten sich ein Stück von der Straße. In einer Mulde ließen sie sich nieder und aßen etwas. Es war früh am Tag, sie würden die Stunden mit ungewohntem Nichtstun verbringen müssen.
„Was ist los?“, fragte Lys, als ihm auffiel, wie schweigsam sein Gefährte war.
„Ach, es ist nur … dumme Gedanken.“ Lys wartete, ob er noch weiter sprechen würde, und schließlich seufzte Kirian und griff nach einem abgebrochenen Zweig, der auf dem Boden lag. „Es ist meine Schuld, denke ich. Das, was aus Elyne geworden ist.“ Er spielte mit dem Zweig, wirbelte ihn zwischen seinen Fingern herum. „Sie war ein ängstliches Kind, von Geburt an. Egal ob Dunkelheit, Spinnen, laute Geräusche, das Rascheln von Mäusen, sie fürchtete sich vor allem. Reiten lernen? Undenkbar, das Biest könnte sie ja beißen. Die Hunde waren für sie ebenso schrecklich wie die Soldaten. Regnete es, fürchtete sie, ein Gewitter könne aufziehen. Es gab nichts, was Elyne nicht in Angst und Schrecken versetzen konnte. Unser Vater, meine Stiefmutter, sie waren wenig begeistert davon. Du weißt, warum.“
Lys nickte. Adlige Frauen durften nur äußerlich zimperlich sein. Sie waren Unterpfand für Bündnisse, oft genug von Krieg und Gewalt umgeben. Schwache Damen wurden zu Opfern im Intrigenspiel, wodurch auch ihre Ehemänner und Kinder in tödliche Gefahr gerieten. Nein, auch wenn Adelsdamen nicht zum Schwert greifen mussten, von ihnen wurde ebenso viel Härte verlangt wie von den Männern. Ängste, Zimperlichkeit – diesen Luxus konnten sich allenfalls die Ehefrauen wohlhabender Händler und Handwerker leisten, umsorgt und verwöhnt in Häusern, die sie niemals zu verlassen brauchten, wenn sie es nicht wollten.
„Ich war fast zwanzig, als sie geboren wurde. Für mich war Elyne keine Schwester, sondern mehr ein lebendiges Spielzeug. Sie kam zu mir, wenn sie Albträume hatte, sie ließ sich von mir trösten und beschützen. Ich habe ihr Geschichten erzählt, um sie
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