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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Behandlung.«
    »War sie niedergeschlagen in letzter Zeit?«
    »Nein. Ich hatte den Eindruck, dass es ihr sehr gut ging. Sie war beschäftigt, hat an einem Projekt gearbeitet, Sie wissen schon.«
    »Leider ist das häufig so bei solchen Patienten. Dann ganz plötzlich treffen sie ihre Entscheidung und lassen ihre Angehörigen weinend zurück. Aber ich muss gestehen, dass ich das von Catherine nie erwartet hätte. Ich dachte immer, dass sie Sie zu sehr geliebt hat, um so etwas zu tun. Deswegen hat sie es trotz der Schwere ihrer Probleme immer rechtzeitig in die Klinik geschafft. Sie wollte überleben, und vor allem wollte sie Ihnen oder Ihrer Tochter nicht wehtun. Ach, ist das traurig. Kann ich irgendetwas für Sie tun, John?«
    »Ich habe nur eine Frage. Und da Catherine so viele Jahre bei Ihnen in Behandlung war, hoffe ich, dass Sie mir eine klare, eindeutige Antwort geben können.«
    »Ich werde mein Bestes tun. Aber wie Sie wissen, ist nicht immer alles Schwarz oder Weiß. Wie lautet Ihre Frage?«
    »Würden Sie jemals einen manisch-depressiven Patienten auffordern, einen Abschiedsbrief zu schreiben? Oder irgendeinen depressiven Patienten?«
    »Niemals. Auf gar keinen Fall.«
    »Nicht mal zu therapeutischen Zwecken? Vielleicht, um die suizidalen Gedanken des Patienten auf den Tisch zu bringen?«
    »Niemals. Die erste Frage, die man einem Patienten mit Depressionen stellt, lautet: Haben Sie jemals in Erwägung gezogen, sich das Leben zu nehmen? Und wenn die Antwort positiv ausfällt: Wie oft? Haben Sie konkrete Schritte unternommen? Auf diese Weise kann man einschätzen, wie ernst die Gefahr ist. Indem man den Patienten auffordert, einen Abschiedsbrief zu schreiben, wird etwas, was vorher nur eine Phantasie war, zur Wirklichkeit. Denn damit unternimmt der Patient einen konkreten Schritt.«
    »Ist das Ihre persönliche Meinung, oder handelt es sich dabei um eine gängige Lehrmeinung?«
    »Nein, nein, das gehört zum Standardwissen. Jeder, der mit Psychotherapie zu tun hat, wird Ihnen dasselbe sagen. Ein Patient mit Selbstmordabsichten sucht Hilfe, wenn er solche Gedanken hegt. Indem man ihn auffordert, einen Abschiedsbrief zu schreiben, gibt man ihm zu verstehen, dass das Schreiben von Abschiedsbriefen etwas Sinnvolles, Vernünftiges ist. Aber das ist es nicht. Ein Abschiedsbrief ist entweder als Botschaft nach dem Tod gedacht oder als Hilferuf. Da wir keineswegs den Tod des Patienten wollen und der Patient, da er in Behandlung ist, bereits auf Hilfe hofft, würde ein solcher Brief weder dem einen noch dem anderen Zweck dienen. Angenommen, wir haben einen Krebspatienten, der schreckliche Schmerzen leidet, einen Menschenohne Lebensqualität, der nur noch wenige Wochen zu leben hat, wenn der sein Leiden beenden will, bitte sehr, dann ist Freitod vielleicht eine legitime Lösung, vielleicht sogar eine gute Lösung. Dem könnte man raten, ein paar Abschiedsbriefe zu schreiben, sozusagen zur Übung, sich genau zu überlegen, was er sagen will. Aber als Therapiemethode bei einem Patienten mit suizidalen Tendenzen? Ich bitte Sie. Das wäre etwa so, als würde ich einen Pädophilen auffordern, mir ein paar Zeichnungen von seinen Phantasien anzufertigen. Oder einen Serienmörder, mir zu beschreiben, wie er sich sein ideales Opfer vorstellt, damit wir uns darüber unterhalten können. Tut mir leid, wenn das klingt, als würde ich suizidale Patienten mit Kriminellen vergleichen, das ist natürlich nicht meine Absicht, aber ich denke, Sie verstehen, was ich meine. Es ist etwa so, als würde ich einer Patientin, die an Anorexie leidet und dabei ist, sich zu Tode zu hungern, sagen: Bringen Sie mir doch ein paar Fotos von den Models und Schauspielerinnen, die so aussehen, wie Sie es sich erträumen. Glauben Sie vielleicht, dass man so einer Patientin, die sowieso schon an einem extrem negativen Selbstbild, an extremer Körper-Dysmorphie leidet, mit solchen Vorschlägen helfen kann? Nein. Das ist völlig absurd.«
    »Also gut, das verstehe ich. Aber wäre es nicht möglich, dass ein anderer Therapeut das Schreiben eines Abschiedsbriefs als Möglichkeit betrachtet, die negativen Gefühle des Patienten zu verdeutlichen?«
    »Das will ich nicht hoffen. Es wäre absolut unverantwortlich. Wollen Sie etwa sagen, dass Bell das von Ihrer Frau verlangt hat?«
    »Auf ihrem Abschiedsbrief wurde sein Daumenabdruck gefunden. Er gibt zu, dass er den Brief gesehen hat, aber er behauptet, sie hätte ihn von sich aus mit zu einer Therapiesitzung

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