Eisiges Herz
sie gern eine Seite einer Online-Selbsthilfegruppe besucht hatte, wo sich Menschen untereinander austauschten, die an bipolarer Störung litten.
Er klickte eine Seite an, die sich bipolar.org nannte. Ein Fenster öffnete sich, auf dem man aufgefordert wurde, Benutzernamen und Passwort einzugeben. In dem Einloggfeld erschien der Name
Icefire
, aber das Feld für das Passwort blieb leer. Cardinal wusste, dass Catherine häufig
Nikon
als Passwort benutzte, aber als er es eingab, erhielt er in roter Schrift die Information, dass das Passwort falsch war. Er versuchte, sich an den Markennamen ihrer Digitalkamera zu erinnern. Er tippte
Cannon
ein, erhielt jedoch erneut eine Fehlermeldung. Dann tippte er dasselbe noch einmal ein, diesmal mit einem
n
und nur in Kleinbuchstaben.
Auf dem Bildschirm erschien eine Liste von Diskussionsthemen. Es gab Foren, wo über Medikamente diskutiert wurde (»Warum ich Lithium hasse/liebe«, »Suizidale Auswirkungen von SSRIs«), über gute Vorsätze (»Adieu: Wir sagen Ja zu einem Leben in Gesundheit«) und schließlich eins, das ihm besonders interessant erschien: »Seelenklempner«.
Cardinal klickte die Diskussionsliste an und suchte nach Beiträgen unter Catherines Benutzernamen. Der erste, den erfand, war eine Antwort auf den Beitrag eines anderen Teilnehmers.
»Verzeih mir, Liebes«, flüsterte Cardinal und klickte die Nachricht an.
Wenn du nach sechs, sieben Sitzungen nicht mit deinem Therapeuten zufrieden bist, würde ich dir raten, dir einen anderen zu suchen
, hatte sie geschrieben.
Man sollte nicht zu früh aufgeben, denn man braucht immer eine Weile, um eine Beziehung aufzubauen. Andererseits, wenn das nach sechs, sieben Sitzungen nicht gelungen ist, ist damit zu rechnen, dass es nie dazu kommen wird
.
Das war typisch Catherine: ruhig, eindeutig und bestimmt, wenn es um wichtige Dinge ging. Sie hatte diese Nachricht drei Tage vor ihrem Tod geschrieben.
Cardinal las noch weitere ihrer Nachrichten. In keiner ging es um Dr. Bell. Bei den meisten handelte es sich um Antworten auf Anfragen, Ratschläge oder Hinweise auf Bücher, die sie als hilfreich empfunden hatte.
Er klickte auf »Neue Nachricht« und schrieb folgenden Text:
Dringend: Ich brauche Informationen von Patienten, die mir von ihren Erfahrungen mit Dr. Frederick Bell berichten können. Dr. Bell praktiziert derzeit in Algonquin Bay, Ontario, war früher in Toronto und davor in England tätig. Ich wäre dankbar für jede Art von Kommentar, ob positiv oder negativ
.
Er las den Text noch einmal durch, drückte die Eingabetaste und klappte den Laptop zu.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, ging er als Erstes in die Küche und loggte sich ein. Es waren drei neue Nachrichten eingegangen.
Hallo, Icefire, ich war in Toronto ein halbes Jahr lang bei Dr. Bell in Behandlung, bevor ich nach Nova Scotia gezogenbin. Ich fand ihn sensibel und klug und habe es bedauert, nicht weiter zu ihm gehen zu können. Damals hatte ich gerade einen manischen Schub hinter mir, und so ging es in den Sitzungen hauptsächlich darum, mich auf die richtigen Medikamente einzustellen, um mich zu stabilisieren. Ich kann also nicht sagen, wie er mit jemandem umgehen würde, der ihn wegen Depressionen konsultiert. Hoffe, das hilft dir weiter
.
Hallo Catherine
, lautete die nächste Nachricht.
Ich dachte, du wärst mit deinem Therapeuten zufrieden. Was ist passiert?
Die dritte kam aus England.
Hallo, Icefire, falls du vorhast, dich von Frederick Bell wegen bipolarer Störungen oder Depressionen behandeln zu lassen, kann ich dir nur DRINGENDST davon abraten. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Mann intelligent ist – er genießt großen Respekt auf seinem Fachgebiet – und er wird vielleicht verhindern können, dass du vollends dem Wahnsinn anheimfällst, aber ich war fast drei Jahre bei ihm in Behandlung, nachdem ich versucht hatte, mich mit einer Packung Schlaftabletten umzubringen (GANZ SCHLECHTE IDEE!). Und in diesen drei Jahren hat mein Zustand sich nicht nur nicht verbessert, sondern VERSCHLECHTERT. Ich kann es nicht genau erklären, aber ich hatte das Gefühl, dass er nicht wollte, dass es mir besser ging. Das muss man sich mal überlegen. Er wollte nicht, dass es mir besser ging. Und falls du dich wunderst: Ich bin nicht paranoid. Im Gegenteil, mein Problem ist, dass ich allzu vertrauensselig bin, und das hat mich schon oft im Leben in große Schwierigkeiten gebracht. Aber während ich bei Dr. Bell in Behandlung war, stand ich die
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