Eisiges Herz
verschreiben, selbst wenn dieser Patient an Depressionen leidet. Wir Kollegen konnten lediglich erklären, dass wir wahrscheinlich nicht so große
Mengen
an Schlaftabletten verschrieben hätten. Es mag sich durchaus um eine Fehleinschätzung gehandelt haben, aber nicht um eine falsche Behandlung.«
»Dann wundert es mich, dass Sie mir davon erzählen.«
»Wenn das alles gewesen wäre, würde ich das auch nicht tun. Aber wir leben in der Post-Shipman-Ära – Sie wissen von dem Arzt, der Hunderte von Patienten umgebracht hat?«
»Ja, ich habe davon gelesen. Es hatte schon seit einer ganzen Weile Verdachtsmomente gegeben, soweit ich mich erinnere, aber es gab keinen Informationsaustausch unter den verschiedenen Krankenhäusern, ist das richtig?«
»Das ist richtig. Es gab keine Kommunikation unter den betroffenen Krankenhäusern. Und es gab noch weitere Problememit Frederick. Kurz nach dem Bericht des Disziplinarausschusses ist er von Swindon weggezogen. Wir haben ihn alle gemocht, trotzdem haben wir erleichtert aufgeatmet, als er die Klinik verließ. Er ist ans Manchester Centre for Mental Health gegangen, die größte psychiatrische Klinik in Nordengland. Ein paar Jahre später stieg die Suizidrate dort sprunghaft an, es gab etwa viermal so viele Fälle wie in anderen Kliniken. Die Zeitungen haben darüber berichtet, und es wurde verlangt, dass der National Health Service den Sachverhalt offiziell untersuchen sollte, was jedoch aus irgendeinem Grund nicht geschehen ist. Frederick zog aus Manchester fort, und daraufhin wurde die Sache fallengelassen.«
»Wohin ist er gezogen?«
»Das weiß ich nicht. Nachdem er von hier weggegangen ist, bin ich ihm nie wieder begegnet.«
Cardinal rief in der Klinik in Manchester an. Die Personalabteilung gab ihm lediglich darüber Auskunft, wie viele Jahre Bell in der Klinik angestellt gewesen war. Der Vorstand des Ausschusses, der die Einhaltung der Standardtherapien überwachte, verweigerte jegliche Information ohne Beschluss eines britischen Gerichts, und der Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie kam Cardinals Bitte um Rückruf nicht nach.
Cardinal wusste, dass die Beziehung zwischen Ärzten und Pflegepersonal häufig schwierig bis feindselig war. Deswegen rief er als Nächstes bei der Oberschwester der Station für Psychiatrie an.
Eigentlich ist es Polizisten in Ontario nicht erlaubt, sich mit Hilfe von arglistiger Täuschung Informationen zu besorgen, und dass Cardinal, normalerweise ein Pedant in Sachen Einhaltung der Vorschriften, es überhaupt in Erwägung zog, ließ sich nur damit erklären, dass seine Nerven völlig blank lagen.
Claire Whitestone hatte eine maskuline Stimme und meldete sich in einem Ton, der darauf schließen ließ, dass sie weiß Gott etwas Besseres zu tun hatte, als sich mit einem George Becker, Oberpfleger der Station für Psychiatrie in der Klinik von Algonquin Bay, zu unterhalten.
»Algonquin Bay«, sagte Schwester Whitestone. »Hört sich an wie ein Ort, an dem es Iglus und Eisbären gibt.«
»Bären und Indianer«, sagte Cardinal. »Keine Iglus.«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe hier ein ernstes Problem, und ich brauche Ihre Hilfe. Es geht um Informationen. Aber wenn ich mich an Ihre Verwaltung oder an die Ärzte in Ihrer Abteilung wende, ist es, als würde ich gegen eine Wand rennen.«
»Von mir können Sie kein Mitleid erwarten. Ich renne tagtäglich mit dem Kopf gegen diese Wand. Der Fluch meines Berufs. Wo ist das Problem?«
»Ich brauche Informationen über einen Psychiater, der mal bei Ihnen angestellt war. Er hatte Ärger mit einem ehemaligen Arbeitgeber, weil er zu große Mengen Schlafmittel verschrieben hat.«
»Ich weiß genau, wen Sie meinen. Wenn Sie an schmutziger Wäsche über Frederick Bell interessiert sind, damit kann ich nicht dienen. Trotz der ganzen Aufregung um den Fall Shipman gibt es immer noch gewisse Vorschriften über den Zugang zu Disziplinarakten. Man kann an die Informationen herankommen, aber das dauert seine Zeit, und es geht nicht über mich. Da müssen Sie sich schon an …«
»An den National Health Service wenden, ich weiß.«
»Die werden nichts übers Telefon sagen und ich genauso wenig. Ich nehme an, in Kanada gibt es auch Gesetze gegen Verleumdung und üble Nachrede.«
»Ja, selbstverständlich.«
»Dann werden Sie begreifen, dass ich Ihnen nichts Negativesüber diesen wunderbaren Mann und hervorragenden Arzt sagen kann, der uns allen solch ein leuchtendes Vorbild ist.«
Cardinal
Weitere Kostenlose Bücher