Eisiges Herz
zwei ganze Tage in dem Vergnügungspark aushältst.«
»Zugegeben, normalerweise würde ich mich nicht darum reißen. Aber es scheint mir eine so gute Gelegenheit für mich und Tara zu sein, einander besser kennenzulernen.«
Im Wohnzimmer wurde der Fernseher ausgeschaltet. Tara kam in die Küche, einen Plüschlöwen unter dem Arm. Sie lachte, als sie Frank sah. »Du hast ja deine Perücke auf!«
Frank schaute sie gespielt gekränkt an. »Wie seh ich aus? Wie Ozzy Osbourne?«
»Super«, sagte Tara und zupfte an den Haaren.
»Ups, Vorsicht, Kleines, sonst rutscht sie mir noch ins Gesicht, und dann sehe ich nicht, wohin ich fahre.«
»Mama, kann ich ein Handy bekommen? Ich möchte ein Harry-Potter-Handy.«
»Nein, möchtest du nicht. Du hast bloß gerade die Werbung dafür gesehen.«
»Doch! Doch! Dann könnte ich Courtenay und Bridget anrufen.«
»Du kannst sie auch so anrufen.«
»Aber das ist nicht dasselbe. Bitte, Mama, bitte, bitte!«
»Frank hat was viel Besseres für dich. Willst du’s ihr sagen, Frank?«
Frank hockte sich vor Tara, so wie immer, wenn er mit ihr redete. »Wie würde es dir gefallen, nächstes Wochenende zu WonderWorld zu fahren? Nur wir beide?«
»WonderWorld? Ist das dein Ernst? Das wäre megacool!«
»Überleg es dir«, sagte Wendy. »Wäre es in Ordnung für dich, mit Frank allein zu fahren? Ich kann nämlich nicht mitkommen.«
»Klar, ich will dahin, ich will dahin! Wann fahren wir? Morgen?«
»Am Freitag«, sagte Frank. »Wir haben den ganzen Freitag und den ganzen Samstag für uns. Ist das nicht toll? Vielleicht setze ich sogar meine Perücke auf – extra für dich.«
42
P atienten, die sich umbringen, und Frederick ließ das völlig ungerührt. Genau wie damals in Manchester, dachte Dorothy Bell, während sie ihr Leben in England Revue passieren ließ. Damals in England hatte Frederick nur mit den Achseln gezuckt, als sich innerhalb einer einzigen Woche drei seiner Patienten das Leben genommen hatten. Er hatte ebenfalls keine Regung gezeigt, als die Mutter eines jungen Mannes mit einem Transparent vor der Klinik gestanden hatte, auf dem zu lesen war: dr. dell hat meinen sohn ermordet. Und es hatte ihn überhaupt nicht interessiert, als seinen Kollegen an der Klinik die hohe Todesrate unter seinen Patienten aufgefallen war.
Auf Fragen gab er immer dieselben Standardantworten. Da versucht man, den Menschen zu helfen, und das ist der Dank, den man dafür erntet, sagte er gern mit einem tiefen Seufzer und einem resignierten Schulterzucken. Oder: Niemand begreift, was für gefährliche Killer Depressionen sind. Die meisten Ärzte nehmen sie nicht mal ernst. Er stellte sich selbst dar wie einen todesmutigen Chirurgen, der sich mit seinem Messer auf feindliches Gebiet begab, in das sich kein anderer hineinwagte.
Und dennoch hatte es ihn nicht im mindesten erschüttert, als in Swindon ein junges Mädchen den Gashahn aufgedreht und sich mitsamt ihrem Elternhaus in die Luft gesprengt hatte. Oder als ein Mann von Ende fünfzig, der kurz davorstand, Großvater zu werden, sich im Garten seiner Tochter eine Kugel in den Kopf gejagt hatte. Oder als die Schwestern im Krankenhaus von Manchester, wo Dorothy arbeitete, anfingen, ihn als Dr. Tod zu bezeichnen. Als sie ihm davon erzählthatte, hatte er bloß auf seine resignierte Art mit den Schultern gezuckt und gesagt: »Gegen Dummheit können selbst die Götter nichts ausrichten.«
Nur ein einziges Mal war er aus der Fassung geraten, nämlich als seine Kollegen in Manchester beim National Health Service ein Untersuchungsverfahren beantragt hatten, weil er siebenmal so viel Schlaftabletten verschrieb wie Psychiater mit einer vergleichbaren Anzahl von Patienten mit Depressionen. »Es gibt keine Psychiater mit vergleichbaren Fällen«, hatte er noch getobt, als sie schon dabei gewesen waren, für Kanada zu packen. »Depressionen verursachen Schlafstörungen. Was soll ich denn tun? Soll ich etwa warten, bis die Leute durchdrehen, weil sie nicht schlafen können?«
Das war zur gleichen Zeit gewesen, als Dr. Harold Shipman vor Gericht gestanden hatte, weil er 250 Patienten mit einer Überdosis Heroin umgebracht hatte. Shipman war bekannt gewesen als guter, einfühlsamer Arzt, der sogar Hausbesuche machte. Viele seiner Patienten waren tatsächlich gestorben, als er bei ihnen zu Hause war oder kurz nachdem er sie verlassen hatte. Seine pummelige Frau hatte unerschütterlich zu ihm gestanden, war während des langen Prozesses täglich im
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