Eisiges Herz
und kurz darauf fuhren sie in seinem Kielwasser hinter ihm her. Der Wind von den Propellern und der Sturm schlugen ihnen nasse Strähnen ins Gesicht. Inzwischen war der Himmel fast schwarz. Am Ufer gingen mit Einbruch der Dunkelheit automatisch Lampen an.
»Ich wünschte, er würde mit uns durch die Luft fliegen«, sagte Tara. »Das wäre aufregend.«
»Ich glaube nicht, dass das Flugzeug das schafft, Liebes.«
»Wir könnten in unserem Boot über die Berge bis nach Hause fliegen.«
In einer knappen Viertelstunde hatten sie die Bucht durchquert, eine Entfernung, für die Wendy mit Rudern mindestens eine Stunde gebraucht hätte. Im Hafen vertäute Frank das Flugzeug an seiner Halteboje, dann zog er das an dem Schleppseil hängende Boot näher. »Schaffen Sie es von hier aus bis ans Ufer?« Er musste brüllen, um sich gegen den Donner verständlich zu machen. »Ich muss mich noch um meine Fangleine kümmern, sonst weiß ich beim nächsten Mal nicht, wie ich zu meinem Flugzeug gelangen soll.«
»Ja, das schaffen wir schon«, sagte Wendy. »Ganz herzlichen Dank!«
Er wickelte das Schleppseil auf und zog sie damit bis dicht an sein Flugzeug heran. Wendy löste das Seil, er beugte sich herunter, um ihr die Hand zu schütteln.
»Frank Rowley«, sagte er.
»Wendy Merritt. Und das ist Tara.«
Auf diese Weise war Frank Rowley vom Himmel gekommen und in ihr Leben getreten.
Als Wendy gerade dabei war, einen Kochtopf zu schrubben, der nicht in die Spülmaschine passte, kam Frank in die Küche, seine Perücke auf dem Kopf. Seine Sixties-Tribute-Band trat diese Woche im Chinook auf, und bei solchen Anlässen trug er immer seine John-Lennon-Perücke. Bis er mit Anfang dreißig plötzlich kahl geworden war, hatte er dieselbe Frisur getragen, wie sie von Fotos wusste, die er ihr gezeigt hatte.
»Musst du gleich los?«, fragte Wendy.
»In ein paar Minuten. Ich hab schon alles ins Auto gepackt. Ich will dir was zeigen.« Er zog zwei Coupons aus seiner Gesäßtasche. »Bob Thibault hat mir für nächstes Wochenende zwei Freikarten für WonderWorld geschenkt – das heißt, für Freitag und Samstag.«
»Ach, wie schade«, sagte Wendy. »Nächstes Wochenende kann ich nicht. Da hab ich Konferenz.«
Wendy musste an der Lehrerkonferenz teilnehmen, die jeden Herbst stattfand. Am Freitag würden alle Schulen geschlossen sein wegen einer ganztägigen Fortbildungsveranstaltung für Lehrer.
»Ich weiß, Liebling. Aber ich wollte dir etwas vorschlagen. Ich dachte – wir leben jetzt seit acht Monaten zusammen, und ich glaube, Tara kann mich ganz gut leiden.«
»Mehr als das, mein Herz. Sie ist ganz verrückt nach dir.«
»Meinst du?« Frank strahlte.
»Sie will immer wissen, wo du bist. Fragt mich dauernd, wann du nach Hause kommst. Ich glaube, sie kann es immer noch nicht fassen, dass du zu uns gehörst. Wahrscheinlich fürchtet sie, du könntest genauso plötzlich verschwinden wie ihr Dad.«
»Na ja, genau darüber hab ich nachgedacht. Tara und ich sind noch gar nicht dazu gekommen, uns richtig anzufreunden, etwas nur zu zweit zu unternehmen.«
»Aber du hast sie im Flugzeug mitgenommen und bist schon ein paarmal mit ihr wandern gegangen. Und ihr habt den Bootsausflug auf der
Chippewa Princess
gemacht.«
»Ja, das stimmt. Aber das waren immer nur ein paar Stunden. Ich glaube, es wäre toll, wenn wir ein paar Tage miteinander verbringen könnten. Da könnten wir uns wirklich näher kommen, weißt du? Wie Vater und Tochter.«
Wendy lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Anrichte. Der Gedanke, dass Tara für ein paar Tage verreisen sollte, machte sie nervös. Ihre Tochter hatte schon an Wochenendausflügen teilgenommen, und sie hatte bei Freundinnen übernachtet. Aber sie war noch nie ohne Wendy außerhalb der Stadt gewesen. Und WonderWorld lag über dreihundert Kilometer weit entfernt, fast in Toronto, gab sie Frank zu bedenken.
»Na gut«, sagte er enttäuscht. »Wenn du glaubst, dass sie noch nicht so weit ist. Ich dachte einfach, es wäre eine großartige Gelegenheit. Aber ich kann die Karten weiterverschenken, kein Problem.«
»Nein, nein, tu das nicht.«
»Aber wenn wir sie doch nicht benutzen?«
Worüber mache ich mir eigentlich Sorgen?, fragte sich Wendy. Frank ist der verantwortungsbewussteste Mensch,dem ich je begegnet bin. »Ich bin einfach übertrieben ängstlich«, sagte sie. »Natürlich kannst du mit ihr fahren. Ihr beide werdet euch bestimmt gut amüsieren. Wenn du meinst, dass du
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