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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Umschlag und schob sie in den Recorder.
    Auf dem Bildschirm: Dr. Bells Sprechzimmer – die Bücher, die Teppiche, die Eichenmöbel, die gemütlichen Sessel, die einen auffordern, sich zu setzen, sich zu entspannen und das Herz auszuschütten. Alles ist freundlich und einladend. Ein junger Mann mit leicht schütterem, aschblondem Haar sitzt auf der Couch, ein Fußgelenk, das er mit der Hand umklammert hält, auf dem Knie. Oberflächlich betrachtet eine bequeme, lässige Haltung, aber der wippende Fuß verrät die Nervosität, und die hektischen Kopfbewegungen lassen auf einen Menschen schließen, der sich in dem Sprechzimmer, in der Welt, vielleicht sogar in seinem eigenen Körper nicht wohlfühlt: Perry Dorn, der arme Kerl, der sich in dem Waschsalon erschossen hat. Cardinal erkannte ihn von Fotos in den Zeitungen und in den Fernsehnachrichten. Auf der Seite sitzt Dr. Bell, ein aufgeschlagenes Notizbuch auf den Knien.
    Der junge Mann erzählt von seinem Leid: wie sehr er seinMathematikstudium geliebt hat, wie er ein Angebot der McGill University abgelehnt hat, um in der Nähe der Frau zu bleiben, in die er vernarrt ist, und wie diese ihn sitzengelassen hat. Die Verzweiflung steht ihm ins Gesicht geschrieben, sie spricht aus seinen resigniert hängenden Schultern. In allem, was er sagt, schwingt tiefe Selbstverachtung mit, selbst wenn er sich einen Scherz abringt. Aber der gute Therapeut legt dem jungen Mann nicht etwa nahe, sich in eine psychiatrische Klinik einweisen zu lassen, sondern lässt sich in allen Einzelheiten beschreiben, auf welche Weise Margaret, die Frau, die der junge Mann so sehr liebt, ihn in die Verzweiflung getrieben hat.
    Und dann reden sie darüber, dass Margaret womöglich gar nichts von seinem Selbstmord mitbekommen würde, weil sie viel zu beschäftigt ist mit ihrem neuen Freund.
    »Nun, ich musste gerade an den Waschsalon denken. Mir ist eingefallen, dass der Waschsalon für Sie beide eine symbolische Bedeutung hatte, als Sie anfangs zusammen waren. Sie haben einmal gesagt, dass es für Sie war wie ein sauberer Anfang. Ich erinnere mich noch, dass mir das sehr geistreich erschien. Keiner von Ihnen beiden hatte Bazillen – so haben Sie sich ausgedrückt – einer alten Beziehung an sich. Und da dachte ich gerade …«
    »Der Waschsalon«, sagt Perry. Er wirft ein halb aufgelöstes Kleenex auf den Tisch. »Ganz genau, das würde sie kapieren.«
    Cardinal legte eine andere DVD ein. Leonard Keswick, der sich das Leben genommen hatte, nachdem die Polizei Kinderpornographie auf seinem Computer entdeckt hatte. Cardinal war dem leitenden Angestellten der Stadtverwaltung häufig bei politischen Veranstaltungen begegnet, und er hatte ihn hin und wieder in den Abendnachrichten gesehen.
    Er ließ den Film zu den entscheidenden Szenen vorlaufen.
    »Wissen Sie, was meine Frau getan hat, als sie es rausgefunden hat? Sie hat mich angespuckt«, sagt Keswick. »Sie hat mir ins Gesicht gespuckt. Meine eigene Frau.« Dr. Bell sitzt geduldig in seinem Sessel und wartet, bis das Schluchzen nachlässt und Keswick nur noch schnieft.
    »Wie hat die Polizei davon erfahren?«, jammert Keswick, während er sich ein Kleenex vor den Mund hält. »Wie sind die bloß auf mich gekommen?«
    »Haben sie es Ihnen nicht gesagt? Die müssen Ihnen doch irgendwelche Beweise vorgelegt haben.«
    »Beweise? Die Beweise waren auf meinem Computer! Lauter Bilder von dreizehnjährigen Mädchen! Ich hab keine Ahnung, woher die das gewusst haben können. Sie haben nur gesagt, sie hätten einen Hinweis erhalten.«
    »Und was glauben Sie, was die damit sagen wollen?«, fragt Dr. Bell. Er verändert seine Sitzposition, rollt die Schultern und wackelt mit dem Kopf wie ein Hund.
    »Keine Ahnung. Vielleicht hat es was mit dem Internet-Portal zu tun oder mit dem Provider oder wie das heißt. Aber das spielt sowieso keine Rolle mehr. Ich werde meinen Job verlieren und meine Familie wahrscheinlich auch. Das ist die Hölle, Dr. Bell, ich schwöre es Ihnen. Es ist, als wäre ich gestorben und in der Hölle gelandet, und ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.«
    Keswick war Cardinal immer so beherrscht und selbstbewusst erschienen, und jetzt brach er auf der Couch des Psychiaters völlig zusammen.
    Allmählich konnte Cardinal nachvollziehen, wie Bells Patienten sich von dessen oberflächlicher Wärme angezogen fühlten. Alles an ihm strahlte Güte, Wärme und Liebenswürdigkeit aus. Selbst Cardinal hatte sich geöffnet, als er Bell zum ersten Mal

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