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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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falschen Details bewunderte: das süße kleine Mädchen am Bildrand, den glitzernden Schnee. Aber das hatte Catherine anscheinend nie gestört.
    An der Leine über den Becken, die Cardinal vor Jahren angebracht hatte, hingen mehrere Abzüge von ein und demselben Foto.
    Es waren Schwarz-Weiß-Bilder. Im Vordergrund war eine Backsteinmauer zu sehen und im Hintergrund ein Mann, der die Straße herunterkam. Der Mann und die Mauer waren beide gestochen scharf, und Cardinal wusste aus seiner eigenen begrenzten Erfahrung, dass so etwas sehr schwierig hinzubekommen war. Es ließ das Bild befremdlich erscheinen, so als wäre der Mann ebenso gegenständlich wie die Mauer. Der Mann hielt den Kopf gesenkt, sein Gesicht war von einem Hut verborgen, wie ihn kaum noch jemand trug. Ein rätselhaftes Bild … oder vielleicht wirkte es auch nur im Rückblick so.
    »Was machst du denn hier unten?« Kelly lehnte im Türrahmen, ausnehmend hübsch in Jeans und weißer Bluse. Catherine vor zwanzig Jahren.
    Cardinal zeigte auf die Regale, die eine ganze Wand einnahmen, auf den hohen Schrank für Kameras und Objektive, die breiten Regalbretter für die Aufbewahrung von großen Abzügen. Die Kästen für Rahmen.
    »Das hab ich ihr alles gebaut«, sagte er.
    »Ich weiß.«
    »Natürlich hat Catherine es entworfen. Schließlich war es ihr Arbeitsplatz.«
    »Hier war sie glücklich.« Kellys Worte versetzten Cardinal einen Stich.
    »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten, Kelly. Nicht jetzt gleich, aber vielleicht in ein paar Monaten.«
    »Kein Problem. Was brauchst du denn?«
    »Ich kenne mich mit Fotografie nicht aus. Und ehrlich gesagt, hat mir jedes Foto gefallen, das Catherine gemacht hat. Wenn sie etwas gesehen und für wert befunden hatte, es zu fotografieren, war es für mich kostbar. Aber du bist Künstlerin.«
    »Ich bin eine erfolglose Malerin, Dad. Keine Fotografin.«
    »Ja, aber du hast den Blick der Künstlerin. Ich hatte gehofft, du könntest irgendwann Catherines Fotos durchgehen, weißt du, und die besten aussuchen. Ich dachte, wir könnten – vielleicht nächstes Jahr – in der Uni oder in der Bibliothek eine Ausstellung mit ihren Bildern machen.«
    »Klar, Dad. Mach ich. Aber ich finde, du solltest nicht hier runterkommen. Es ist alles noch zu frisch, meinst du nicht?«
    »Ja. Du hast recht.«
    »Komm«, sagte sie, nahm tatsächlich seine Hand und führte ihn aus der Dunkelkammer. Um ein Haar wäre er schon wieder in Tränen ausgebrochen.
    Aber Kelly hatte recht. Im Erdgeschoss, das ihr gemeinsames Territorium gewesen war, fühlte er sich wesentlich wohler. Er ging ins Wohnzimmer und überflog die Titel auf den Buchrücken in den Regalen. Catherine hatte die meisten Bücher gekauft. Hauptsächlich Bücher über Fotografie, aber es gab auch welche über Yoga, über Buddhismus, die Romane von John Irving und auch einige Bücher über Depressionen und bipolare Störungen. Eins war von Frederick Bell und trug den Titel:
Gegen Selbstmord
. Cardinal nahm es vom Regal.
    Im Klappentext waren weitere Bücher zum Thema erwähnt, alle mit sehr wissenschaftlich klingenden Titeln, aber dieses schien sich an ein breites Publikum zu wenden und war in einem beruhigenden Ton geschrieben. Außerdem gab Bell auf erstaunlich offene Weise Einblick in sein eigenesLeben. Auf den ersten Seiten berichtete er darüber, wie er als Achtjähriger den Selbstmord seines Vaters hatte verkraften müssen und wie seine Mutter sich zehn Jahre später das Leben nahm, als er selber gerade mit dem Studium begonnen hatte. Kein Wunder, dass derartige Erfahrungen einen Menschen dazu brachten, wie Bell es in der Einleitung formulierte, »die Felder der Trauer und der Verzweiflung zu bearbeiten«.
    Cardinal blätterte die Seiten durch. Das Buch war auf einer Reihe von Fallstudien aufgebaut, wobei jedes Kapitel mit der Beschreibung eines Selbstmordversuchs begann, in dessen Folge der Patient in Bells Praxis gelandet war. Dann gab es noch einen Teil, der sich den Partnern von Selbstmördern widmete, mit besonderem Augenmerk auf solche, die mehr als einen Ehepartner durch Suizid verloren hatten. »Manche Menschen, die selbst unterdrückte Selbstmordphantasien hegen«, schrieb Bell, »suchen die Nähe von Menschen, die in der Lage sind, sich das Leben zu nehmen. Weil sie selbst unfähig sind, sich in den Abgrund zu stürzen, brauchen sie jemanden, der
an ihrer Stelle
Selbstmord begeht.«
    Cardinal kam zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich keine gute Idee war, das Zeug

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