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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Abschiedsbrief geschrieben?«
    »Nein. War wohl kein ernst gemeinter Versuch. Ich war bloß so unglücklich.«
    »Schlimmer als jetzt?«
    »Nein, nein. Jetzt ist es viel schlimmer.
Viel
schlimmer.«
    »Wie oft denken Sie heutzutage an Selbstmord?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Ich denke doch, Melanie.«
    Noch sanfter konnte er weiß Gott nicht mit ihr sprechen. Dr. Bell bemühte sich, alles an Wärme und Bestärkung in seine Worte zu legen – und vor allem bedingungslose Achtung. Hier bist du vollkommen in Sicherheit, wollte er Melanie zu verstehen geben, hier kannst du dich getrost deinen Dämonen stellen.
    »Ich denke ziemlich oft an Selbstmord«, sagte Melanie. »Eigentlich jeden Tag. Meistens nachmittags. Spätnachmittags. Dann erscheint mir alles ganz besonders aussichtslos. Ein Tag ist fast vorbei, und mein Leben ist immer noch nichts wert.
Ich
bin nichts wert. Ich höre die anderen Studenten im Haus lachen und telefonieren und ausgehen und sich amüsieren, und die kommen mir vor, ich weiß nicht, als gehörten sie einer anderen
Spezies
an oder so. Ich glaub, so glücklich wie die war ich noch nie. Vier Uhr, fünf Uhr, wieder ein vergeudeter Tag. Wieder ein Tag, an dem ich versucht hab, einen völlig sinnlosen Aufsatz zu schreiben. Schon wieder ein Tag, an dem ich mir den Kopf zerbreche, wie ich die Studiengebühren fürs nächste Jahr auftreiben soll. In solchen Momenten kommen mir solche Gedanken.«
    »All diese Gedanken an Selbstmord. Haben Sie schon mal einen Abschiedsbrief geschrieben?«
    »Ich war schon oft drauf und dran, aber ich hab noch nie einen geschrieben.«
    »Wenn Sie es täten, was würde darin stehen?« Sie will ihrer Mutter nicht wehtun, dachte Bell. Es ist schließlich nicht ihre Schuld. Sie leidet Höllenqualen und macht sich Sorgen um ihre Mutter.
    »Ich glaub, ich würde schreiben … Ich weiß es eigentlich gar nicht so genau. Ich würde meiner Mutter sagen wollen, sie soll sich keine Vorwürfe machen, dass es nichts mit ihr zu tun hat. Dass sie ihr Bestes getan hat und alles. Ich meine, dass sie mich großgezogen hat. Mehr oder weniger allein.«
    »Melanie, ich weiß, dass Sie sich in letzter Zeit von Ihrem Studium ziemlich überfordert fühlen, aber ich werde Ihnen diesmal eine Hausaufgabe aufgeben, ist das in Ordnung?«
    Melanie zuckte die Achseln. Winzige Brüste bewegten sich unter ihrem Sweatshirt.
    »Ich möchte, dass Sie diesen Abschiedsbrief schreiben«, fuhr Dr. Bell fort. »Schreiben Sie Ihre Gedanken auf. Ich glaube, das würde Ihnen guttun. Es könnte dazu beitragen, dass Sie sich über Ihre Gefühle klar werden. Meinen Sie, dass Sie das schaffen?«
    »Glaub schon.«
    »Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken darüber. Es muss kein langer Brief sein. Schreiben Sie einfach auf, was Sie sagen würden, wenn Sie tatsächlich vorhätten, sich das Leben zu nehmen.«

19
     
    E s ist kein Geheimnis, dass sich ein bestimmter Typ Mensch oder ein Mensch in einer bestimmten Stimmung genau von dem Menschen oder dem Ort angezogen fühlt, der ihm den größten Schmerz bereitet. Ein Alkoholiker wird die nächste Kneipe aufsuchen, ein Spieler wird das Sparbuch eines Freundes stehlen, ein verlassener Liebhaber wird zu dem Ort zurückkehren, an dem ihn seine Geliebte sitzengelassen hat. John Cardinal stand am Nachmittag des folgenden Tages reglos, umgeben vom Geruch nach Chemikalien, im dämmrigen Licht von Catherines Dunkelkammer.
    Die Dunkelkammer war ihr und nur ihr Territorium gewesen, und Cardinal hatte nie ohne Aufforderung einen Fuß hineingesetzt.
    Zwar hatte Catherine ihm manchmal von geplanten Projekten erzählt, aber über ihre Arbeit in der Dunkelkammer hatte sie nie gesprochen. Sie war wie ein Koch gewesen, der niemanden in seine Küche lässt und es vorzieht, eine fertig zubereitete Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, als hätte er sie herbeigezaubert. Catherine war regelmäßig mit einer Handvoll frischer Abzüge aus dem Keller gekommen und hatte sie auf dem Tisch ausgebreitet, damit Cardinal sie einen nach dem anderen begutachten konnte.
    Wenn Cardinal zu lange gebraucht hatte, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen, hatte sie die Bilder über seine Schulter hinweg selbst kommentiert.
    »Auf diesem Bild gefällt mir die Feuerleiter besonders gut. Die Diagonale bringt Spannung in die Komposition.« Oder: »Sieh dir den Radfahrer im Hintergrund an, wie er in die entgegengesetzte Richtung fährt. Ich liebe solche Zufälle.«Meistens hatte Cardinal feststellen müssen, dass er die

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