Eisiges Herz
jetzt zu lesen.
Er ging in die Küche, wo Kelly über ihren Skizzenblock gebeugt saß. Er nahm sich die Post vor, die Kelly auf der Anrichte abgelegt hatte. Das meiste war für Catherine: eine Fachzeitschrift für Fotografie, Benachrichtigungen von der Art Gallery von Ontario und dem Royal Ontario Museum über bevorstehende Ausstellungen, eine Rechnung von ihrer MasterCard und verschiedene Rundschreiben von der Northern University. Einige Umschläge waren an ihn adressiert. Weitere Kondolenzkarten.
Er suchte gerade nach dem Brieföffner, als das Telefon klingelte.
Es war Brian Overholt, ein Kollege von der Mordkommission in Toronto, den Cardinal schon seit Ewigkeiten kannte. Sie hatten vor mehr als zwanzig Jahren beim Drogendezernat zusammengearbeitet. Sie waren ein gutes Team gewesen, und Overholt war einer der wenigen Kollegen aus Toronto, die Cardinal manchmal vermisste. Cardinal hatte ihn wegen Connor Plaskett angerufen.
»John, ich hab was für dich. Plaskett ist tatsächlich tot. Ist vor ein paar Wochen hier im Kneipenviertel überfahren worden. Hat noch eine Weile auf der Intensivstation gelegen und ist am Samstag vor einer Woche gestorben.«
»War er bei euch in irgendwas verwickelt, über das ich Bescheid wissen müsste?«
»Uns ist nichts bekannt. Seine Kumpel haben das Weite gesucht, als er überfahren wurde, daraus kannst du deine eigenen Schlüsse ziehen. Die wollten auf keinen Fall der Polizei über den Weg laufen.«
»Habt ihr den Fahrer?«
»Nein, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Kann ich sonst noch was für dich tun? Hallo? Bist du noch dran?«
Cardinal hatte während des Gesprächs einen der an ihn adressierten Umschläge geöffnet und starrte die Karte an, die er ihm entnommen hatte.
»Äh, ja. Vielen Dank, Brian. Vielleicht kann ich mich ja mal revanchieren.«
»Ganz bestimmt. Wenn ich das nächste Mal einen Eskimo suche, ruf ich dich an. Wie geht’s übrigens Catherine?«
»Ich muss los, Brian. Hab grade was reinbekommen.«
Dieser Umschlag war in Mattawa abgestempelt, genau wie der erste, wieder eine aufwendige Beileidskarte von Hallmark, wie man sie in jedem Schreibwarenladen und jedem größeren Supermarkt im Land kaufen konnte.
Der Absender hatte also mindestens drei davon gekauft.Vielleicht hatte er sie alle gleichzeitig in demselben Laden erworben. Einem Verkäufer würde jemand, der drei Beileidskarten auf einmal kaufte, womöglich auffallen.
Cardinal gab sich alle Mühe, als Polizist zu denken und sich von den Worten in der Karte nicht beeinflussen zu lassen.
Du musst ja ein großartiger Ehemann gewesen sein
, stand da, genau wie bei den anderen Karten auf einen Zettel gedruckt, mit dem der Originaltext überklebt war.
Sie wollte lieber sterben, als weiter mit dir zusammenzuleben. Denk mal drüber nach. Sie hat buchstäblich den Tod vorgezogen. Daran kannst du ablesen, was du wert bist
.
Cardinal trat ans Fenster und hielt die Karte ins Licht. Ja, er konnte so gerade eine feine weiße Linie erkennen, die sich in der zweiten Zeile durch die Großbuchstaben zog. Der Text war also mit größter Wahrscheinlichkeit mit demselben Gerät ausgedruckt worden, und selbst wenn nicht, konnte er davon ausgehen, dass die Karte von demselben Absender stammte. Wer auch immer das war, Connor Plaskett konnte es nicht sein, denn der war vor Catherine gestorben.
Sie wollte lieber sterben, als weiter mit dir zusammenzuleben
.
»Du kannst mich mal!« Cardinal schlug mit der Faust gegen die Kühlschranktür, so dass alle Magnete, Merkzettel und Fotos auf den Boden flogen.
»Dad, alles in Ordnung?«
Kelly war aufgesprungen und schaute ihn aus dunklen, besorgten Augen an.
»Alles in Ordnung.«
Sie fasste sich ans Herz. »Ich glaube, so hab ich dich noch nie fluchen hören.«
»Du wirst dich womöglich dran gewöhnen müssen«, sagte er, während er seine Jacke überzog.
»Du gehst weg?«
Cardinal schnappte sich seine Wagenschlüssel.
»Du brauchst mit dem Abendessen nicht auf mich zu warten«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie lange ich unterwegs sein werde.«
20
K önnen Sie mir die Adresse von Neil Codwallader geben?«
Cardinal fuhr über die 63 in die Stadt. Er wunderte sich selbst über das Ausmaß seiner Wut. Er spürte, wie sie in seinen Handgelenken pulsierte, in seinen Schläfen pochte.
»Neil Codwallader ist inzwischen allein. Er hat keine Frau mehr, die er verprügeln kann.«
Das war Wes Beattie am anderen Ende der Leitung, ein Bewährungshelfer. Beattie hatte
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