Eiskalt in Nippes
lassen. An den Grenzen habe ich mich mit seinem Pass ausgewiesen. Da wir damals beide einen Vollbart und längere Haare trugen, brauchte ich nur noch seine Brille aufsetzen. Keiner hat etwas bemerkt. Niemand schaute sich das Passbild genauer an. In Singapur habe ich dann unsere Tochterfirma gegründet und ihn fingiert als Director eingesetzt. Die Leute dort sind leichtgläubig, und es war ihnen auch eigentlich egal, wie die Arbeitsanweisungen kamen. Die haben sich daran gewöhnt, dass mein geliebter Halbbruder krank war und deshalb selten persönlich in die Firma kam. Sie glauben ja gar nicht, wie leicht es mir seit Jahren gemacht wird. Ich bin dann ab und zu in das Tochterwerk gefahren und dort als Uwe Mankowicz aufgetreten. Als Uwes Reisepass ablief, habe ich einfach im Deutschen Generalkonsulat einen neuen beantragt. Natürlich mit meinem Foto. Der Konsul kannte mich ja schon als deutschen Geschäftsmann. Als es noch keine Computer gab, war es ziemlich schwierig, von hier aus Faxe mit Absender Singapur zu senden. Im Zeitalter des Computers war das dann kein Problem mehr. Kinderleicht war das, Rufumleitungen, Mailadressen und und und“, sprudelte es voller Begeisterung aus ihm heraus.
„Dass ich selbst damals das Land für einige Zeit verlassen habe, hat komischerweise niemand bemerkt. Und die Grenzkontrollen waren ja schlapp, ich fiel nicht auf. Keine Überprüfung meiner Person! Man musste einfach nur das machen, was die Grenzer von einem verlangten.“
Ursula Meierbrink wurde immer klarer, dass sie, wenn nicht noch einWunder passieren würde, diese Begegnung nicht überleben würde. Sie versuchte, ihre eingeschlagene Taktik fortzuführen, ohne dass Blecher Verdacht schöpfte: „Einfach genial, genial“, machte sie eine Faust und streckte dabei den Daumen nach oben. „Ich wünschte, ich wäre auch so clever wie Sie. Stattdessen falle ich immer auf alles rein. Letztens habe ich sogar noch ein Abo für eine Zeitung unterschrieben, die ich eigentlich gar nicht haben wollte.“
Sie senkte den Kopf.
Blecher fühlte sich tatsächlich geschmeichelt: „Ja, das war genial.“ Seine Augen leuchteten.
„Endlich sieht das mal jemand ein. Jahrelang habe ich alle an der Nase herumgeführt, und nie konnte ich es erzählen.“
Er fühlte sich richtig gut.
„Endlich war ich wer. Ich war alleiniger Chef der Firma, und alle achteten mich. Steinreich bin ich geworden, und in der Kommunalpolitik geschieht nichts ohne mein Wissen. Du müsstest mal sehen, wie sich manche Politiker anbiedern und um mich rumschleimen, nur um Spendengelder zu kassieren. Alles lief so verdammt gut. Bis die verdammte Tiefkühltruhe mit der Leiche von diesem Bastard gefunden wurde und ausgerechnet Erna Schmitz, unsere frühere Sekretärin, meinen Halbbruder auf dem Fahndungsplakat erkannte! Scheiße, scheiße, scheiße“, schlug er fest mit der Faust gegen die Betonwand.
Ursula Meierbrink war jetzt nur noch ein Häufchen Elend.
„Und deshalb haben Sie sie umgebracht?“
Blecher erzählte monoton weiter, wie er vor dem Polizeipräsidium auf Erna Schmitz gewartet hatte. Sie hatte ja auf dem Anrufbeantworter erzählt, dass sie an diesem Morgen mit dem Zug fahren wollte. Als sie dann tatsächlich kam und ihren Rollator langsam über die Straße schob, ging alles sehr schnell. Ohne zu zögern sei er losgerast und habe sie überfahren.
„Was meinen Sie, wie ich mich selbst erschrocken habe? Die Alte schlug mit dem Kopf gegen meine Windschutzscheibe, und für einen Moment dachte ich, sie schaut mir direkt in die Augen“, sagte er vorwurfsvoll.
Für Ursula Meierbrink war das zu viel. Sie war in sich zusammengesackt und bekam einen Heulkrampf. Sie konnte und wollte nicht mehr zuhören.
Wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre, hätte sie Blecher am liebstenauf der Stelle umgebracht.
„Leider wirst du das alles niemandem mehr erzählen können.“
Blecher verließ den Keller und schloss die schwere Feuerschutztür hinter sich zu. Ursula Meierbrink war wieder allein mit ihren Gedanken. Die nackte Angst um ihr Leben ergriff sie. Kalter Schweiß rann ihren Rücken herunter. Fieberhaft überlegte sie, wie sie vielleicht doch noch entkommen könnte. Aber es fiel ihr keine Lösung ein. Die Lage schien hoffnungslos.
EINUNDDREIßIG
Im Vortragssaal des Polizeipräsidiums herrschte an diesem Morgen schon um 05.00 Uhr rege Betriebsamkeit.
Westhoven wies die Einsatzkräfte des SEK in die Lage ein und machte insbesondere darauf aufmerksam, dass
Weitere Kostenlose Bücher