Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
»Nehmen Sie Platz, Lambert. Fühlen Sie sich in meiner kleinen Sauna ganz wie zu Hause.«
Mit einem mitfühlenden Grinsen zog sich Lambert einen Stuhl heran, dann reichte er Steven die Zusammenfassung von Winters’ Ausflügen in das Internet. »Bis Montag, den fünften, hat er im Grunde immer dieselben Seiten aufgesucht. Jede Menge Porno-Seiten, jede Menge rassistische Seiten.«
»Welch eine Überraschung«, murmelte Toni.
»Und dann, am fünften, ging er dazu über, Suchmaschinen für Adressen zu nutzen.«
Steven furchte die Stirn. »Wie? Warum das?«
»Er gab Namen ein wie Mary, Mary Grace, Grace, Mary Anne, Mary Beth. Die Nachnamen variierten: Smith, Jones, Summers, Fall, Spring, um nur ein paar zu nennen.«
Steven sah Toni an; seine Brauen bildeten nahezu eine gerade Linie. »Er sucht seine Frau.«
»Warum sollte er sie suchen? Warum sollte er eine Frau suchen, die seit sieben Jahren tot ist?« Tonis Augen blitzten auf. »Es sei denn, er glaubt nicht mehr, dass sie tot ist?«
Steven massierte sich die Schläfen. »Das kann doch nicht sein.«
»Warum sollte er plötzlich annehmen, dass sie lebt?«, überlegte Toni.
»Er hat damit angefangen, nachdem er in Sevier County den Wagen gesehen hatte.« Steven stand auf und schritt in dem kleinen Raum auf und ab. »Es hat irgendwie mit dieser Keramikfigur zu tun.«
Toni schwieg eine ganze Weile. »Laut Schwester Burns hat Mary Grace gesagt, diese Skulptur wäre das erste Geschenk, das sie jemals bekommen hat, stimmt’s? Sie muss ihr viel bedeutet haben.«
Steven blieb stehen und sah zum Fenster hinaus. »Sie ist ein Symbol.«
»Freiheit. Unabhängigkeit.«
Steven dachte an die Hoffnungslosigkeit in Sue Ann Broughtons Blick. »Hoffnung.«
»Ziemlich heftige Emotionen.«
Steven nickte, überlegte, schuf die Szene in seinen Gedanken. »Ja. Und für Mary Grace waren diese Emotionen stärker als ihre Angst. Der Wagen ist absichtlich in den See gefahren worden. Stellen Sie es sich mal so vor: Mary Grace findet im Krankenhaus Freunde. Susan Crenshaw gehört dazu. Susan schenkt ihr eine Skulptur, und Mary Grace hütet sie wie ihren Augapfel. Sie wird aus dem Krankenhaus entlassen, kommt nach Hause, und was macht der Göttergatte?«
»Er zerbricht sie«, antwortete Lambert.
Steven sah ihn an und nickte knapp. »Um Mary Grace zu zerbrechen. Die Keramik war angeschlagen und zusammengeklebt. Sie hat sie geklebt. Hat sie vielleicht versteckt, damit er sie nicht noch einmal zerbrechen konnte. Vandalia hat gesagt, Winters wäre … aufgewühlt gewesen.«
Toni sog die Wangen ein. »Sie hatte ihn überlistet.«
»Das wird Rob nicht gefallen haben«, bemerkte Lambert trocken.
Toni lächelte schief. »Wohl kaum, wie?«
»Er schäumt vor Wut«, fuhr Steven fort, der ihre Bemerkungen kaum wahrgenommen hatte. »Aber sie hält irgendwie durch. Findet Freunde. Knüpft Kontakte. Jemand hilft ihr zu fliehen.« Er drehte sich um und blickte aus dem Fenster, jedoch ohne etwas anderes zu sehen als das, was er in seiner Vorstellung entwickelte. »Sie fahren den Wagen zum See. Verstehen Sie? Sie besitzt diese Skulptur, ihr ganz privates Symbol der Freiheit. Sie benutzt sie als Pedalhebel, um den Wagen in den See fahren und um alles, was Mary Grace war, hinter sich zu lassen. Sie ist wiedergeboren.« Er hielt inne, fuhr herum und begegnete Tonis Blick. »Sie ist jetzt jemand anderes.«
»Das würde erklären, warum sie ihre Handtasche zurückgelassen hat«, pflichtete Toni ihm bei.
»Und warum Winters mit Variationen ihres Namens im Internet nach ihr sucht«, fügte Lambert hinzu.
Toni runzelte die Stirn. »Aber warum hat sie ihre Gehhilfe zurückgelassen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Steven, »aber ich möchte wetten, das erfahren wir, sobald wir Mary Grace Winters gefunden haben.«
»Ich habe noch eine Abweichung vom Normalen zu vermelden«, sagte Lambert mit einem leisen Funkeln in den Augen.
»Nun, spannen Sie uns nicht auf die Folter«, erwiderte Steven ungeduldig. Lambert grinste nur.
»Er hat die Gelben Seiten im Internet aufgesucht. Er suchte die University of North Carolina in Charlotte. Den Fachbereich Computertechnik.«
Toni zog die Brauen zusammen. »Warum?«
»Soll ich raten?«, fragte Lambert. »Er brauchte einen Hacker. Jemanden, der in die Personalakten des Asheville General Hospitals einbrechen konnte. Die Website des Krankenhauses war die letzte Seite, die er besucht hatte, bevor er die Universitätssite angesurft hatte. Er hat es unter
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