Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
»Klar doch. Dein Vater wird doch hoffentlich wieder gesund?«
Nach einem Blick auf seinen Vater, der sich mit aschfahlem Gesicht auf dem Beifahrersitz krümmte, zog Barry eine Grimasse. »Klar. Mom kümmert sich um ihn, und dann ist er bald wieder gesund und munter, vielleicht« – wieder verzog er das Gesicht – »nächste Woche. Ich bin froh, dass wir diese Hotdogs nicht gegessen haben.«
Tom nickte. »Ja, und ich bin froh, dass deine Mom unseren Campingplatz gefunden hat. Das nächste Mal nehmen wir Leuchtpistolen und Notfunkgeräte mit.«
Barry grinste. »Das nächste Mal überprüfen wir das Haltbarkeitsdatum auf den Hotdogs«, flüsterte er.
»Ich habe das sehr wohl gehört«, stöhnte sein Vater.
»Ich hätte gedacht, dass sich diese Dinger ewig halten, Mr Grant«, sagte Tom voller Mitgefühl. »Ich hoffe, dass es Ihnen bald wieder besser geht.« Er öffnete die Schiebetür des Vans. »Danke fürs Abholen, Mrs Grant.«
Tom warf sich seine Reisetasche über die Schulter, winkte noch einmal zurück und nahm die Eingangstreppe mit einem einzigen Sprung. »Hi, Mr A …« Er blieb verwundert stehen. Sy Adelman zu begrüßen war für ihn so selbstverständlich wie zu atmen. Zum ersten Mal, seit Tom denken konnte, saß der alte Mann nicht auf seinem Platz auf der untersten Treppenstufe. Tom beschloss, nach ihm zu sehen, sobald er sein Gepäck abgestellt hatte. Alte Menschen stürzten manchmal und konnten dann nicht wieder aufstehen, wenngleich ihm Mr Adelman nie wie ein typischer alter Mann vorgekommen war.
Tom furchte die Stirn, als der Sicherheitsriegel sich nicht aufschließen ließ. Er war bereits aufgeschlossen. Tom würde ein Wörtchen mit seiner Mutter reden müssen. Ihr Verstand setzte offenbar manchmal aus, seit Max Hunter in ihr Leben getreten war. Wenn sie vergaß, die Tür zu verriegeln, war das praktisch eine Aufforderung für die Straßengangs der Umgebung, in die Wohnung einzubrechen.
In der Wohnung war es still, gespenstisch still.
Mom ist wahrscheinlich bei Max
, dachte Tom und war sich immer noch nicht sicher, ob er dem Mann trauen konnte. Aber seine Mutter sagte, dass sie ihn liebte, und das musste zunächst einmal reichen. Er konnte zumindest einigermaßen sicher sein, dass seine Mom bei Max Hunter gut aufhoben war. Selbst wenn der Mann wütend wurde, hob er nicht Fäuste. Das hatte Mom gesagt, und Dana hatte es bestätigt. Danas Meinung war ihm sehr wichtig. Er ließ seine Tasche auf den Boden fallen und ging in die Küche. Vier Stunden mit dem würgenden Mr Grant in einem Auto hatten ihm und Barry so ziemlich den Appetit genommen. Jetzt lehnte er sich an den Küchentresen und verschlang zwei Hähnchenkeulen, bevor er nach der Keksdose griff.
Er wunderte sich über das silbrige Aufblitzen und Klimpern eines Schlüsselbundes, als er die Dose aufhob. Die Schlüssel seiner Mutter. Sie verließ das Haus nie ohne ihre Schlüssel. Seine kurzen Nackenhaare sträubten sich, und er schaute sich wachsam um, als stünde der Schwarze Mann direkt hinter ihm. Leise holte er seinen Baseball-Schläger aus dem Dielenschrank und schlich den Flur entlang.
Das Bad … Er spähte hinein, bevor er den Duschvorhang zur Seite schob. Leer.
Das Schlafzimmer seiner Mutter … Er warf einen Blick hinein. Leer. Dann fuhr er einen Schritt zurück, als er die Scherben der Josefsfigur auf dem Boden sah. Die Jahre spulten zurück und lösten sich in Nebel auf.
»Oh Gott«, flüsterte er, und sein Herz hämmerte gegen seine Rippen. »Nein, Gott, bitte nicht.« Er zwang sich weiterzugehen und hob eine der Scherben vom Bett auf. »Mom?«, rief er verhalten. »Mom, bist du zu Hause?« Er trat neben die Schranktür, bevor er sie ruckartig aufriss. Der Schrank war leer. Er nahm kaum wahr, dass er einen schweren Seufzer der Erleichterung ausstieß.
Der letzte Raum war sein eigenes Schlafzimmer. Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Seine Handflächen waren schweißnass. Er wischte erst die eine, dann die andere an seiner Jeans ab und umfasste den Baseballschläger fester. Vorsichtig öffnete er die Tür und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Sein Bett war gemacht, die Decke so straff gespannt, dass er eine Münze darauf hätte hüpfen lassen können. Er machte sein Bett nie. Überhaupt nie. Seit dem Tag, an dem sie davongelaufen waren, nicht mehr, weil es
ihm
immer so wichtig gewesen war. Auf diese Weise zeigte Tom
ihm
eine lange Nase. Der Anblick des mit militärischer Präzision gemachten Betts holte ihn zurück
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