Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
Kleiderspenden von anderen, die das Schicksal weniger herausgefordert hatte. Sie erinnerte sich an seine stillen Tränen, den Ausdruck von höchster Not auf seinem kleinen Gesicht, die Art, wie sein Blick hektisch hin und her gehuscht war. Immer auf der Hut. Aber er hatte gehorcht. Hatte seine kleine Hand in ihre geschoben und war ohne einen einzigen Blick zurück auf die Straße hinausgetreten. In den sieben Jahren hatte er es weit gebracht. Sie beide hatten es weit gebracht.
»Tom, Schätzchen.« Caroline schüttelte den Kopf und suchte nach den richtigen Worten. »Ich habe noch Angst. Aber ich bin nicht mehr zu Tode verängstigt. Er könnte uns aufspüren, das ist schon richtig. Er könnte aus irgendeinem Gebüsch springen und uns zurück nach North Carolina zerren.« Von »zu Hause« redete sie längst nicht mehr; sie sagte auch nie »Vater« oder »mein Mann«. Niemals, wirklich niemals benutzten sie die Namen, die sie hinter sich gelassen hatten. In diesen kleinen Dingen waren sie noch genauso wachsam wie vor sieben Jahren. Ihre Beachtung hatte ihnen Sicherheit beschert.
Und es war entschieden besser, Vorsicht als Nachsicht walten zu lassen, denn alles andere hätte ihren Tod bedeutet.
Caroline richtete sich ein wenig auf. »Aber jetzt sind wir stärker, wir beide. Jetzt stehen uns Waffen zur Verfügung, die wir damals nicht hatten.«
Dana verstärkte ihren Griff um Toms Schultern. »Ja, ich zum Beispiel.«
Caroline lächelte. »Und sie ist wirklich Furcht erregend, vergiss das nicht. Aber wir haben noch mehr. Ich besitze jetzt eine Ausbildung. Ich kenne meine Rechte.« Sie zögerte. »Und ich weiß, wie man wegläuft.«
Tom biss die Zähne zusammen. »Ich will nicht wieder weglaufen.«
»Und wir werden es wahrscheinlich nie wieder tun. Aber falls er kommt …«
»Wenn er kommt, lass ich dich nicht im Stich.«
Caroline seufzte und zuckte mit den Schultern. »Schatz, darüber haben wir schon tausend Mal geredet.«
»Ich laufe nicht weg«, versicherte er. »Ich lass dich nicht allein.« Plötzlich wirkte er so viel älter als vierzehn. Caroline stellte fest, dass ihr Sohn im Begriff war, ein Mann zu werden. Und sie wusste, was sie sagen musste, selbst, als ihr die Worte fast im Halse stecken blieben.
»In Ordnung. Sollte dieser Tag jemals kommen, bleiben wir unzertrennlich zusammen.« Wieder hob sie die Hand, um sein Gesicht zu berühren. »Aber mach dir wenigstens heute keine Sorgen. Und das Gleiche gilt für morgen und übermorgen.«
»Denk nicht über den Tag hinaus«, flüsterte er wie zu sich selbst.
»Du hast ihm viel beigebracht, Caro.«
Carolines Blick glitt von ihrem Sohn zu ihrer besten Freundin. Sie hatten ihm in der Tat viel beigebracht. Sie beide zusammen, sie und Dana. Und ob sie zusammenblieben oder nicht, Tom hatte das Zeug zu überleben, ganz gleich, was geschah. Sie hatte ihm geholfen, Freunde zu finden, die sich sofort seiner annehmen würden, sollte ihr etwas zustoßen. Das war eine tröstliche Sicherheit.
»Zeit für die Schule. Hab einen schönen Tag, Schatz.«
»Ich will’s versuchen.« Er zögerte kurz, beugte sich dann herab und gab ihr ein Küsschen auf die Wange. »Tschüss.«
Beim Hinausgehen ließ er die Tür so stark hinter sich ins Schloss fallen, dass die Wände der kleinen Wohnung erzitterten. Einen Moment lang stand Caroline reglos da, dann zwang sie sich zurück in die Gegenwart. »Möchtest du Kaffee?«
»Nein. Ich habe schon welchen getrunken. Wie seid ihr ausgerechnet heute auf das Thema gekommen?«
»Ach, Tom hat Angst, dass Shaw sich an mir rächen will, weil ich zu dem Komitee gehörte, das Hunter als Elis Nachfolger empfohlen hat.«
»Sie wollte wohl selbst Fachbereichsleiterin werden, wie?«
»Von Anfang an. Ich glaube, sie hat die Tage bis zu Elis Pensionierung gezählt. Und als er dann den Herzinfarkt hatte …« Sie musste sich räuspern, damit ihre Stimme nicht brach, und unterdrückte mit Mühe das Zittern ihrer Hände, als sie sich eine Tasse Kaffee einschenkte. »Du hättest sie auf Elis Begräbnis sehen sollen.«
»Ich habe sie gesehen.« Dana holte einen Karton halbfette Milch aus dem Kühlschrank und goss ein wenig davon in Carolines Tasse. »Sie war wie die sprichwörtliche Katze, die den Sahnetopf ausgeschleckt hat.«
»Tja, ich bin heilfroh, dass ich nicht für sie arbeiten muss. Hunter müsste schon fast so schlimm sein wie Jack the Ripper, damit ich ihn so … ablehne, wie ich Monika Shaw … ablehne.«
»Ablehne?« Dana hörte
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