Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
er versuchte, sich selbst mit den Augen eines Vierjährigen zu sehen. Die letzten zwölf Jahre seines Lebens waren davon geprägt, dass er sauer war. Doch das Wort aus diesem Kindermund zu hören tat weh. Das Wissen darum, dass es der Wahrheit entsprach, schmerzte noch mehr.
»Und …«
»Sei still, Petey.« Justin versuchte, ihn mit sich fortzuziehen.
»Nein, Justin, es ist schon gut. Sag’s nur, Petey.«
»Und du magst keine kleinen Jungen.«
Max holte tief Luft, betroffen von der kindlichen Ehrlichkeit. Bei den wenigen Malen, die er im Lauf der Jahre an Feiertagen nach Hause gekommen war, musste er den Kindern wie eine Mischung aus Captain Ahab und Oskar aus der Mülltonne erschienen sein. Es war an der Zeit, den alten Max hinter sich zu lassen.
»Tja, Petey, ich kann schon verstehen, dass du so gedacht hast.« Justins Augen wurden groß und rund, und Petey spähte durch das rote Haar, das ihm in die Stirn gefallen war, zu Max auf. »Mag sein, dass ich brummig war, und da habt ihr vielleicht gedacht, es läge daran, dass ich keine kleinen Jungen mag. Aber das stimmt nicht.«
»Nicht?«
»Nein. Es war vielmehr so, dass ich mich selbst nicht leiden konnte.«
Petey wagte es, Max geradewegs ins Gesicht zu sehen, und Max zwang sich zu einem Lächeln.
»Was hast du Schlimmes getan, dass du dich nicht leiden konntest?«, fragte Justin höchst interessiert.
Im ersten Augenblick war Max sprachlos, nicht fähig, für sich selbst eine Antwort auf diese Frage zu finden. »Ich war wütend, weil ich am Stock gehen muss«, sagte er schließlich.
Petey nickte wissend. »Und bestimmt hat dir auch der Nacken wehgetan.«
Max zog verwundert die Brauen zusammen. »Warum meinst du, dass mir der Nacken wehgetan hätte?«
»Daddy sagt, dir säße ein Teufel im Nacken, der dich immerzu quält.« Justin musterte ihn neugierig, konnte aber im Nacken seines Onkels nichts Ungewöhnliches entdecken. »Das muss doch wehgetan haben.«
Max legte nachdenklich einen Finger an die Lippen.
Kindermund tut Wahrheit kund
, dachte er. »Ja, Petey. Ich bin froh, dass dieser Teufel jetzt weg ist. Und ich freue mich rasend über diese Willkommensparty. Dafür danke ich euch von Herzen.«
»Wir haben nichts gemacht, Onkel Max«, erklärte Justin. »Das waren Mom und Tante Cathy.«
»Doch, ihr habt auch euren Beitrag geleistet.« Max zog Petey an sich und umarmte ihn. »Ihr seid gekommen, um mit mir zu feiern. Und dafür bin ich dankbar. Ich erinnere mich an all die Partys, die wir gefeiert haben, als ich so alt war wie ihr.« Max lachte leise über Peteys zweifelnden Blick. »Ja, ich war auch mal so alt wie du, ob du es glaubst oder nicht. Auf unseren Partys gab es Kuchen und Eis, und wir haben aus Leibeskräften herumgebrüllt.«
»Mit Großmutter Hunter«, sagte Justin, und sein sommersprossiges Gesicht wurde traurig.
»Ich kann mich nicht an sie erinnern«, gestand Petey.
»Aber ich«, sagte Max und zauste Peteys rotes Haar. Er hatte nie glauben wollen, dass seine Schwägerin von Natur aus rotes Haar hatte, bis es bei jedem einzelnen von Sonyas und Peters Kindern in Erscheinung getreten war. »Meine Großmutter hatte einen Koffer voll Spielzeugsoldaten oben auf dem Dachboden. Euer Dad und Onkel David und ich haben oft damit gespielt, besonders an Tagen, wenn das Wetter so schlecht war, dass wir nicht draußen spielen konnten.«
Peteys Unterlippe zitterte. »Die großen Jungs spielen draußen. Aber sie lassen uns nicht mitspielen.«
»Das ist wahrscheinlich auch besser so«, erklärte Max, ohne den Blick von Gesicht des Kleinen zu lösen. Es war eine kleine Geste seines Vaters, an die er sich erinnerte. Ungeteilte Aufmerksamkeit und ununterbrochener Blickkontakt selbst mit einem noch so kleinen Kind. Das hatte ihm selbst immer das Gefühl gegeben, der klügste, wichtigste Junge auf der Welt zu sein. Peteys stolzer Blick bestätigte Max, dass es tatsächlich so funktionierte. »Die großen Jungs könnten euch umrennen, und ihr würdet euch wehtun. Aber ich möchte wetten, dass diese Spielzeugsoldaten immer noch auf dem Dachboden rumliegen. Ich kann ziemlich schlecht diese steile Treppe hinaufsteigen, aber ihr zwei könnt es bestimmt.« Die beiden waren schon auf dem Weg zum Dachboden. »Sie waren in einem alten schwarzen Koffer«, rief Max ihnen nach, wartete, bis sie außer Sichtweite waren, stand dann mühsam auf und leerte die Kehrschaufel im Abfalleimer aus.
»Das war … nett, Max.«
Max drehte sich nicht um, als er Peters
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