Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
allen Seiten bewundern zu können. Und da lag er, auf dem Misthaufen, sein rotes Fell leuchtete auf dem braunen Untergrund. Vorsichtigzog sie ihn an den Vorderpfoten heraus. Georg hieß er. Natürlich war er nur einer von vielen auf dem Hof und in seiner Funktion ersetzbar. Auf einem Bauernhof war man es gewohnt, dass Katzen kamen und gingen. Aber das war kein Unfall gewesen. Ihr wurde eiskalt, noch kälter, als die minus sieben Grad es auszurichten vermochten.
Sie streichelte den Kater. Er war nicht das erste Tier, das auf diesem Hof einen schmerzvollen Tod hatte erleiden müssen. Aber es war schon lange her, mehrere Jahre sogar. Sie hatte diese Geschichte verdrängt, aber jetzt tauchte sie wieder auf. Ein anderes Katzenleben hatte ein ebenfalls grausiges Ende genommen: Jemand hatte die Vorderbeine und die Hinterbeine an je einer Schnur befestigt und dann das Tier bei lebendigem Leib auseinandergerissen. Und noch länger zurück, vielleicht fünfzehn Jahre her, lag die Geschichte mit dem brennenden Hahn: Jemand hatte den Hahn des Hofes mit Benzin übergossen und angezündet. Wie ein kleiner Feuerball war er schreiend über den Hof gerannt, bis er tot umgefallen war. Dass sei Tiermisshandlung, hatte Kir damals gesagt und mit der Polizei gedroht. Aber ihr Vater hatte das als Jungenstreiche abgetan, den Hahn auf den Misthaufen geworfen und mit einem Schulterzucken verkündet, dass, wenn eines der Familienmitglieder die Polizei rufen würde, er dieses Mitglied nie wieder unter seinem Dach sehen wolle.
Kir zweifelte keine Sekunde daran, dass er das Gleiche auch dieses Mal sagen würde. Eine Weile betrachtete sie traurig den leblosen, steif gefrorenen Körper, dann ging sie ins Haus, wo ihre Mutter mit Staubsaugen beschäftigt war. Sie trug einen karierten Rock und eine braune Strickjacke. Ihr Rücken war breit, die Arme kräftig, die Beine steckten in dicken Nylonstrümpfen und endeten in soliden Halbschuhen.
Kir hatte das Muskulöse von ihrer Mutter geerbt, aber das Langgliedrige und die Zähigkeit ihres Vaters. Aber der erste Eindruck täuschte. Ihre Mutter war vielleicht auf den ersten Blick von hinten eine kräftige, bodenständige Bäuerin, aber wenn sie sich umdrehte, verrieten ihre Augen das, was ihr Körper verbarg: das Zucken an ihrem linken Auge, das stärker wurde, je mehr sie sich unter Druck gesetzt fühlte. Die Art, wie sie plötzlich zusammenzuckte wie ein geprügelter Hund, und das Misstrauen, das sie ausstrahlte, verhöhnte jede freundliche oder gar liebevolle Geste. Kir konnte sich nicht erinnern, ob ihr Vater seine Frau jemals geschlagen hatte, aber sie hatte oft gedacht, dass sie damit eventuell besser würde umgehen können. Vielleicht war die Androhung von Gewalt weitaus schlimmer als der eigentliche Akt des Schlagens. Und an Drohungen hatte es nie gemangelt, ausgesprochene und unausgesprochene.
»Mama?«
Nicht ihre Stimme, sondern der Hund, der auf Kir zugetrottet kam, ließ ihre Mutter aufsehen. Sie schaltete den Staubsauger aus.
»Ach, du bist es Kirstine.«
Wie immer klang sie ertappt und verängstigt. Das Familienessen am Vortag hatte auch an ihren Kräften gezehrt und jetzt tauchte ihre Tochter am Tag danach schon wieder auf. Kir trat näher und unterdrückte das Gefühl, sich wie in einem Spinnennetz gefangen zu fühlen.
»Hast du den Kater gesehen?«
Ihre Mutter runzelte die Stirn und strich sich den Rock glatt.
»Bist du deswegen gekommen?«
Kir schüttelte den Kopf.
»Können wir in die Küche gehen? Wo ist Papa?«
»Er ist im Baumarkt und wollte Werkzeug kaufen.«
Kir setzte Teewasser auf, ihre Mutter setzte sich auf die Bank.
»Und Tomas?«
»Im Stall, vielleicht. Ich weiß es nicht. Was ist denn mit dem Kater?«
Kir erzählte ihr den Leidensweg von Kater Georg.
»Ihr solltet die Polizei einschalten.«
»Dein Vater würde sehr wütend werden. Außerdem ist es jetzt ja auch zu spät.«
So war das immer. Zu spät, hieß es dann. Er war ja schon tot.
Kir stellte die Teebecher auf den Tisch und ließ den Tee in der Kanne ziehen.
»Aber es ist nicht zu spät für die nächste Katze.«
Ihre Mutter erschauerte.
»Das passiert bestimmt nicht wieder. Das sind Jungenstreiche, sagt dein Vater. Hier laufen doch so viele über den Hof. Da verliert man manchmal den Überblick.«
In gewisser Weise hatte sie recht. Der Hof grenzte an ein Waldstück, das für Schulausflüge sehr beliebt war. Dort hatten schon immer Jungs Räuber und Gendarmen gespielt, auch sie war früher mit
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