Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
rannte in seinem kleinen Büro auf und ab. Dann wirbelte sie herum und starrte ihn an. Ihre Stimme war um eine Oktave gestiegen, obwohl sie sich sehr bemühte, sie normal klingen zu lassen. Er verspürte große Lust, alle Befugnisse zu überschreiten und sie aus seinem Büro zu werfen, aber ein kleiner Teil von ihm wünschte sich etwas anderes: ihre Hochsteckfrisur zu lösen, die Bluse aufzuknöpfen und sie mit Drinks abzufüllen, damit sie sich entspannte. Und mit ihr zu schlafen.
»Ich dachte, wir hatten eine Vereinbarung«, sagte sie. »Das hier ist ein Mordfall und da führt die Mordkommission die Verhöre. Das hatten wir doch besprochen?«
Sie konnte einem wirklich Angst einjagen, wenn sie so wütend war. Aber das galt nicht für ihn.
»Ich bin der zuständige Kommissar des Distrikts, in dem der Mord geschehen ist«, entgegnete er ihr mit einer Sanftmut, die sie rasend machte. Das wusste er. »Ich war als Erster am Tatort und hatte ein paar Fragen an einen Bewohner meines Distrikts. Ich habe nur meine Arbeit gemacht.«
Er streckte ihr die Hände entgegen und lächelte. Eine Geste, die sie früher entwaffnen konnte. Aber den jetzigen Effekt konnte er nicht vorhersehen.
»Wenn das verboten ist, dann musst du mich festnehmen und mir Handschellen anlegen.«
Sie stützte sich auf ihren Fäusten ab und beugte sich über seinen Schreibtisch.
»Hör auf damit, den Idioten zu spielen, Mark. Ich kennedich. Ich weiß, dass es dir hierbei nicht um den Fall geht. Lass uns bitte ehrlich sein.«
»Mit Ehrlichkeit habe ich überhaupt keine Probleme. Du etwa? Findest du nicht, dass wir den Kollegen eine Erklärung über unsere Beziehung schuldig sind? Meinetwegen können wir gerne die Tür öffnen.«
Sie zuckte zurück, als hätte er einen Angriff gestartet. Er ging zur Tür und legte die Hand auf die Türklinke.
»Ich habe ihn nicht verhört«, sagte er. »Ich habe mir keine Notizen gemacht und ich werde auch keinen Bericht darüber schreiben. Ich habe mich mit ihm unterhalten, das war alles.«
Er setzte sich wieder an den Schreibtisch. Anna Bagger stellte sich ans Fenster und sah hinunter auf den Parkplatz. Er konnte sich einen bissigen Kommentar nicht verkneifen.
»Und für die Zukunft solltet ihr nicht vergessen, dass ihr unsere Gäste seid. Der Parkplatz ist für alle da und es stünde euch besser zu Gesicht, wenn ihr nicht die Plätze direkt neben der Treppe nehmt.«
Sie drehte sich um und lächelte.
»Oje, der Macho muss die zweite Geige spielen. Damit kommst du nicht klar, oder? Das konntest du noch nie leiden.«
Er nickte.
»Du darfst das so auslegen, wie es dir gefällt. Das ist auf jeden Fall der einfachste Weg.«
Er hatte in der Zwischenzeit ein paar Informationen eingeholt. Sie war ganz neu auf ihrem Posten, noch grün hinter den Ohren. Vor nicht mal vierzehn Tagen war sie von einem niedrigeren Posten in Esbjerg nach Århus berufen worden, um dort Leiterin der Mordkommission zu werden. Ihr legendärer Vorgänger John Wagner hatte um Dienstbefreiung gebeten. Und jetzt musste sie sich vor ihren neuen Kollegenund ihrem Exgeliebten profilieren, der sie gedemütigt hatte. Der sich von ihr zurückgezogen und sie dazu provoziert hatte, mit ihm Schluss zu machen. Warum das alles geschehen war, konnte sie nicht wissen, und wenn es nach ihm ginge, würde sie es auch nie erfahren.
»Aber du kannst es natürlich auch als Unterstützung und als Beistand sehen.«
Er suchte einen Riss an ihrer Oberfläche, eine kleine Öffnung, aber vergeblich. Wie alle hatte auch sie ihre schwachen und starken Seiten, die sie als Ermittlerin einsetzte. Zu ihren Schwächen gehörte ihr Starrsinn, wenn es sie gepackt hatte. Sie konnte sich in etwas verbeißen – auch in eine falsche Fährte. Allerdings ergab ihre Sturheit häufig gute Resultate. Während ihrer Zeit in Esbjerg hatte sich die Aufklärungsquote erheblich erhöht, das war eine Tatsache. Aber sie besaß nicht dasselbe Gespür für das psychologische Moment, das einen Mord charakterisierte, das wussten sie beide. Ein Mord versetzte die Welt in Schwingungen und er hatte schon immer einen guten Instinkt für ebendiese Schwingungen gehabt.
»Du bekommst alle Lorbeeren, das ist abgemacht!«, sagte er.
Endlich sah er diesen hauchdünnen Riss an ihrer Oberfläche. Er sah, wie sie sich den Triumph ausmalte, und wusste, dass er sofort zuschlagen musste.
»Ist Nina Bjerre schon obduziert worden?«
Automatisch sah sie auf die Uhr.
»Ja, Tod durch Ersticken.«
»Gibt es
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