Eiskalt Wie Die Suende
voreiligen Schlussfolgerungen, liebe Corneliaâ, meinte Will und hob mahnend den Finger. Sie musste lächeln, hörte sie dies doch nicht zum ersten Mal.
âNa gut, aber vielleicht ist er ja auch gar nicht aus freien Stücken verschwunden. Vielleicht hat der wahre Mörder etwas mit seinem Verschwinden zu tun.â Nell lehnte sich an das Kopfende ihres Bettes und schlang die Arme um die Knie. âEs gibt unzählige Fragen, auf die wir eine Antwort brauchen. Ich weià bislang weder über die näheren Umstände des Mordes Bescheid noch wer dieser Johnny Cassidy überhaupt war oder warum man Cook für seinen Mörder hält. Ich muss ihn finden. Vielleicht weià seine Frau ja etwas.â
âKennst du sie?â
Nell schüttelte den Kopf. âWir sind uns nie begegnet, aber Cook spricht sehr oft von ihr, immer sehr liebevoll. Sie kommt auch aus Irland, so wie er. Irgendwann hat er mir mal erzählt, dass er mit dem Trinken aufgehört hat, als er sie geheiratet hat. Viel mehr weià ich eigentlich auch nicht über sie. Ich weià sogar nicht einmal, wie sie mit Vornamen heiÃt. Er nennt sie immer nur Mrs. Cook.â
âDann weiÃt du wahrscheinlich auch nicht, wo die beiden wohnen.â
âDoch, nachdem er zur Staatspolizei befördert worden ist, hat er ein neues Haus gekauft. Er sagte, es wäre â¦â Sie versuchte, sich an den StraÃennamen zu erinnern. âEs war irgendwas, das mit dem Bürgerkrieg zu tun hatte. Lafayette? Gibt es in Boston eine Lafayette Street?â
âEine Fayette Street gibt esâ, meinte Will. âIn der Nähe der Church Street, ein nettes kleines Viertel südlich vom Public Garden.â
âJa, das muss es seinâ, sagte Nell. âIch werde gleich morgen hingehen, das Haus ausfindig machen und mich Mrs. Cook vorstellen. Vielleicht weià sie ja etwas, das mich weiterbringt. Und dann werde ich mich mal ein bisschen im North End umhören.â
âAh ja, dich ein bisschen umhören.â Will lieà sich auf den Rücken fallen und rieb sich das Gesicht. âIm North End.â Er stieà einen ungläubigen Laut aus, der irgendwo zwischen einem Stöhnen und einem Lachen angesiedelt war. âNell, Nell, Nell â¦â
âDort hat sich der Mord nun mal ereignetâ, stellte sie klar.
âDort ereignen sich jeden Tag einigeMorde, liebe Cornelia. Und zudem noch etliche Schlägereien und Messerstechereien, Diebstähle und Vergewaltigungen, wie dir vielleicht bekannt sein dürfte.â
âIch kenne mich im North End sehr wohl aus, Will.â
âSo?â Er stützte sich seitlich auf den Ellenbogen und sah ihr besorgt in die Augen, als er fragte: âWie oft bist du in letzter Zeit dort gewesen, Nell?â
âFast jeden Sonntagmorgen.â
âIm rosigen Morgenrot, begleitet von Brady, der dich im guten Brougham der Familie zur Kirche und zurück fährt. Ich wage zu behaupten, dass du sehr wenig vom North End zu sehen bekommen hast, denn sonst wüsstest du, dass es nicht gerade das Viertel ist, in dem eine so tugendhafte junge Dame âsich ein bisschen umhörenâ sollte. Dort hausen die schlimmsten Schläger und Halsabschneider der Stadt und gehen sich gegenseitig an den Kragen.â
âIch weià sehr wohl, wie es in solchen Vierteln zugeht, Willâ, beharrte sie. âIch hatte vor gar nicht allzu langer Zeit selbst mit solchen Leuten zu tun. Vergiss nicht, dass ich mal eine sehr begabte Taschendiebin war.â
âBeklaut zu werden ist im North End fast noch das Beste, was einem passieren kann.â Einen Moment sah er mit besorgt gerunzelter Stirn beiseite, als müsse er sich über etwas klar werden. âWenn du es unbedingt riskieren willst, werde ich dich begleiten.â
âAm Ende bin ich es noch, die dich beschützen mussâ, meinte sie und grinste vergnügt. âEs ist nämlich ein irisches Viertel, musst du wissen. Ich bin eine von ihnen.â
âWarst du vielleicht mal. Jetzt nicht mehr. Du siehst nach Bostoner Oberschicht aus, du redest so und du benimmst dich auch so. Du müsstest verrückt sein, wenn du dich allein ins North End wagst. Und dass du hier ganz allein in diesem Haus â¦â Er schüttelte den Kopf, setzte sich auf und streckte sich. âEs ist einfach zu gefährlich. Wahrscheinlich hätte Skinner wirklich leichtes Spiel, die Schlösser
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