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Eiskalt Wie Die Suende

Eiskalt Wie Die Suende

Titel: Eiskalt Wie Die Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
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der während des innigen Kusses zu Boden gefallen war, und den sie seither in einer Hutschachtel im obersten Fach ihres Schranks verwahrte.
    Zum ersten Mal, seit sie den Schal in ihre Schublade getan hatte, schlug sie nun das feine Papier zurück und ließ die Seide durch ihre Finger gleiten. Sie faltete ihn auseinander, hielt ihn sich an die Nase und roch noch einen Hauch von Bay-Rum-Seife und Tabak. In den Monaten vor seiner Abreise hatte Will seinen Zigarettenkonsum zwar erheblich reduziert, doch als er an jenem Morgen auf den Zug gewartet hatte, hatte er geraucht – sein inhalierbares Nerventonikum, wie er sagte. Etwas, das mich beruhigt und mir zu tun gibt, wenn ich die Welt und meine Rolle darin mal wieder kaum ertragen kann.
    Der bittersüße Duft des Schals trieb Nell Tränen in die Augen. Wie sehr sie Will während der letzten sechs Monate vermisst hatte! Sein geistreicher Witz, dieses still vertraute Lächeln, seine samtig tiefe Stimme mit dem britischen Akzent, den er sich von seiner in England verbrachten Jugend bewahrt hatte. Ihr war fast, als wäre ihr das Herz aus der Brust gerissen worden, so leer fühlte sie sich, so verloren und allein. Sie war immer stolz darauf gewesen, unabhängig und sich selbst genug zu sein, und hier stand sie nun, den Tränen nah, weil sie jemanden vermisste, der ihr doch nie mehr als ein Freund würde sein können – der liebste Freund, den sie jemals gehabt hatte, das wohl, aber doch nie mehr. Wie hatte es nur dazu kommen können, dass dieser komplizierte Mann, dieser Glücksspieler, dieser unstete, in der Welt herumreisende Lebemann ihr auf einmal wie die andere Hälfte ihrer selbst vorkam?
    Vom Korridor her drang ein dumpfes Knarren. Nell drehte sich um und sah einen schmalen Lichtstreifen unter der Tür ihres Zimmers. Als sie zu Bett gegangen war, hatte sie die Lampen im Korridor indes nicht angemacht.
    Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie den Schal lautlos zurück in die Schublade legte und eine Hutnadel aus der Porzellandose auf ihrer Kommode nahm. Mit leisem Quietschen wurde draußen eine Tür geöffnet – die Tür, welche in das Kinderzimmer führte.
    Jede Wette, dass ich jedes Schloss in diesem Haus in weniger als einer Minute geknackt hätte.
    Nell bekreuzigte sich mit zitternder Hand und sandte St. Dismas ein eilig geflüstertes Stoßgebet. Dann huschte sie auf bloßen Füßen leise zur Tür und lauschte reglos.
    Im Kinderzimmer hörte sie das lose Dielenbrett unter dem Perserteppich knarren. Er suchte nach ihr. Gleich würde er die Verbindungstür entdeckt haben, die zu ihrem Zimmer führte.
    Ganz vorsichtig öffnete sie die Tür zum Korridor und rannte los. Als sie an der offen stehenden Tür des Kinderzimmers vorbeilief, rief ein Mann: „Halt, hier geblieben!“
    Nell stürmte den von Gaslichtern erhellten Gang hinab, die Schritte ihres Verfolgers dicht auf den Fersen. Fast hatte sie schon den Treppenabsatz erreicht, als er sie von hinten packte und zu Boden riss.
    Bäuchlings landete sie auf dem Teppich, wälzte sich herum und holte mit ihrer Hutnadel aus. Immer auf die Augen zielen, dachte sie, bevor er auf sie fiel.
    â€žNell!“ Er packte ihr Handgelenk – hielt ihre beiden Hände fest, drückte sie zu Boden und meinte: „Verdammt noch mal, willst du mir die Augen ausstechen?“
    Ungläubig sah sie zu dem ihr so vertrauten Gesicht auf, dem nachtschwarzen Haar, das ihm nun wirr in die Stirn hing.
    â€žWill? Ach, du liebe Güte!“ Sie konnte es kaum glauben. Er war es wirklich, Will war hier! Nell schüttelte den Kopf, als wolle sie ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken zur Vernunft bringen. „Ich … es tut mir leid“, sagte sie schließlich und lachte nervös. „Ich … ich habe dich für Skinner gehalten.“
    â€žSkinner? Charlie Skinner?“ Will ließ ihre Handgelenke los, setzte sich auf und strich sich das Haar zurück. „Was zum Teufel sollte er hier mitten in der Nacht tun?“
    â€žWas tust du denn hier?“, fragte sie und stützte sich auf die Ellenbogen.
    â€žDas könnte ich dich auch fragen.“ Er stand auf – was ihm aufgrund der alten Schussverletzung in seinem Bein ein wenig schwerfiel – und reichte ihr die Hand. „Solltest du nicht auf Cape Cod sein?“
    â€žEtwas ist dazwischengekommen“, sagte Nell und ergriff seine

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