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Eiskalt Wie Die Suende

Eiskalt Wie Die Suende

Titel: Eiskalt Wie Die Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
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verheiratete Frau war und dies auch würde bleiben müssen, bis dass der Tod sie von Duncan scheide. Wie sollte sie also für eine solche Erklärung ein offenes Ohr haben?
    Doch dann war es zu jenem Kuss gekommen, nach dem alles so weiter hätte gehen sollen wie bisher. Das hatte Will ihr versprochen, und Nell hatte nicht einen Moment daran gezweifelt, dass er sein Versprechen halten würde. Der Kuss würde nie wieder erwähnt werden, es sei denn, Nell käme ihrerseits darauf zu sprechen. Will würde darüber schweigen, wie es sich für einen Gentleman gehörte.
    â€žDu besuchst demnach noch immer die Messe?“, fragte er nun.
    Nell nickte. „Ja, wie gehabt, jeden Sonntag die Frühmesse in St. Stephen.“ Oder vielmehr fast jeden Sonntag. Ein- oder zweimal hatte sie auf den Besuch der Messe in den letzten Wochen verzichtet, was früher für sie noch undenkbar gewesen wäre.
    â€žJeden Sonntag zwei Gottesdienste hintereinander“, meinte Will schaudernd. „Eine wahre Heldentat.“
    Nell verdrehte die Augen und sagte: „Du hast mir immer noch nicht verraten, warum du dich hier mitten in der Nacht hereingeschlichen hast. Was wolltest du im Kinderzimmer?“
    â€žIch habe Gracie ein Geschenk aus Shanghai mitgebracht – eine Garnitur kleiner chinesischer Möbel für ihr Puppenhaus. Und für dich habe ich auch etwas. Ich wollte es dir hierlassen, damit du es bei deiner Rückkehr vom Cape gleich vorgefunden hättest. Aber als ich dich wie von Furien gejagt durch den Korridor rennen sah, habe ich es vor Schreck fallen lassen.“
    Durch die Verbindungstür zwischen beiden Räumen verschwand Will im Kinderzimmer und kam kurz darauf mit einem langen, in Papier gewickelten Gegenstand in der einen und seinem Hut in der anderen Hand zurück. Aus der Innentasche seines Rocks zog er ein kleines Klappmesser hervor – ein Skalpell, wie Nell mit geübtem Blick feststellte.
    â€žIch hätte es dir hier an die Wand gehängt“, sagte er, während er den Faden zerschnitt, der das grobe braune Papier zusammenhielt. „Eigentlich sollte man es unter Glas rahmen lassen. Es ist einige hundert Jahre alt.“
    Nachdem er das Papier abgestreift hatte, rollte er einen seidenen Wandbehang aus, der ungefähr einen mal zwei Meter maß.
    â€žOh, Will“, hauchte Nell, als er das Kunstwerk auf ihr Bett legte, damit sie es sich ansehen könnte. Es war ein Gemälde von einer schönen jungen Frau, ausgeführt in zarten Wasserfarben und Blattgold. Die Frau trug einen opulenten Kopfputz und bunte chinesische Roben und stand lächelnd inmitten einer Lotusblüte, umgeben von Wolken und Wellen. „Es ist herrlich.“
    Will hatte sich ans Fußende ihres Bettes gesetzt und sagte: „Es ist die Kwan Yin, eine der chinesischen Heilsgöttinnen. Obwohl sie selbst schon zur Erleuchtung gelangt ist, zieht sie noch nicht ins Paradies ein, um auf Erden anderen Menschen helfen zu können. Ich musste es dir einfach schenken, weil sie mich so sehr an dich erinnert hat.“
    Die Frau auf dem Wandbehang hatte tiefschwarzes Haar und feine asiatische Züge. „Ich kann eigentlich keine sonderlich große Ähnlichkeit mit mir entdecken“, meinte Nell zweifelnd.
    â€žKwan Yin ist die Göttin der Barmherzigkeit und des Mitgefühls“, fuhr Will fort. „Sie befreit andere von ihren Leiden und hilft ihnen, ihre Dämonen zu bannen. Ich behaupte, dass sie sehr wohl große Ähnlichkeit mit dir hat.“
    Nell schaute von dem Gemälde auf und fand Wills Blick mit jener ruhigen Eindringlichkeit auf sich gerichtet, die ihm eigen war und die sie so vermisst hatte. Im Kerzenschein wirkten seine scharf geschnittenen, vom Leben gezeichneten Züge weicher – die dunklen, umschatteten Augen, der harte Zug um den Mund –, und man sah ihm seine fünfunddreißig Jahre nicht mehr an. In seinen Augen schien kaum merklich etwas auf, eine leise Verletzlichkeit, eine stille Sehnsucht.
    â€žWenn du nicht wärst“, sagte er leise, „wäre ich meinen Dämonen schon lange erlegen. Ich wäre am Galgen geendet oder mit einer Nadel im Arm. Du hast mich davon befreit und mir geholfen, wieder annähernd der Mann zu werden, der ich vorher war, vor dem Krieg und all dem. Du weißt, dass ich dir mehr schulde, als ich jemals begleichen könnte.“
    â€žDu schuldest mir überhaupt nichts,

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