Eiskalt Wie Die Suende
Will.â
âWie du meinst. Aber ich dürfte dir deine Güte kaum dadurch vergelten, dass ich dich ganz allein und schutzlos zurücklieÃe. Ich bleibe hier und schlafe nebenan, im Kinderzimmer.â
âWas?â Sie sprang auf und sah ihn entgeistert an. âAber Will â¦â
âDu kannst nicht allein in diesem Haus bleiben. Das wäre viel zu gefährlich.â
âWill, wie kannst du behaupten, um meinen guten Ruf besorgt zu sein und dann allen Ernstes in Erwägung ziehen, dir dieses leer stehende Haus mit mir zu teilen?â
âWeil niemand davon weiÃ. Ich werde stets die Hintertür nehmen. Die Vorhänge sind zugezogen. Niemand wird mich sehen.â
âAber ⦠was, wenn dich doch jemand sieht? Was, wenn â¦â
âUnd was, wenn Skinner herausfindet, dass du ganz allein hiergeblieben bist, und eines Nachts einbricht, um dir eine gehörige Lektion zu erteilen?â Er fasste sie bei den Schultern, neigte sich ihr zu und meinte dann mit etwas sanfterer Stimme: âSchau, Nell, ich verstehe, dass du hiergeblieben bist, um Cook zu helfen. Ich bewundere es, wie loyal du zu deinen Freunden stehst und was du alles bereit bist, für sie zu tun. Ich bewundere auch deinen Mut, aber ich kann und werde nicht zulassen, dass du dich hier so leichtsinnig in Gefahr begibst. Versteh mich nicht falsch â ich bitte dich nicht darum, hierbleiben zu dürfen. Ich werde hierbleiben.â
âSeit wann bist du eigentlich so ⦠so verdammt autoritär?â
âUnd seit wann fluchst du wie ein Leichtmatrose?â, erwiderte er lachend. âNicht, dass es mir etwas ausmachen würde â ganz im Gegenteil. Deine Rolle als tadellose Gouvernante war für meinen Geschmack schon immer ein wenig zu schön, um wahr zu sein.â
âWie gut, dich lachen zu sehenâ, sagte sie. âIch habe dich vermisst, Will. Ich â¦â Sie schluckte, da ihr auf einmal ganz beklommen zumute war. âIch bin froh, dass du wieder da bist.â
Will nickte, sein Lächeln schwand jäh dahin. Er beugte sich über sie und küsste sachte ihre Stirn. âGute Nacht, Nellâ, sagte er und zog sich ins Kinderzimmer zurück.
5. KAPITEL
âEin hübsches Viertelâ, bemerkte Nell fast ein wenig überrascht zu Will, als sie an die Tür des dreigeschossigen Backsteinhauses in der Fayette Street klopften, zu dem Colin Cooks Nachbarn ihnen den Weg gewiesen hatten. Durch die feinen Rüschengardinen hinter den Glasscheiben konnten sie in eine kleine Diele sehen, von der aus eine Wendeltreppe nach oben und ein langer, schmaler Korridor in den hinteren Teil des Hauses führten. âErinnert mich ein bisschen an Beacon Hill.â
âDas dürfte daran liegen, dass die meisten dieser Häuser von genau denselben Zimmerleuten und Steinmetzen erbaut wurden â nur diesmal für ihre eigenen Familien.â
Nell hob die Hand, um ihre Augen vor der frühen Mittagssonne zu schützen, sah an der gepflegten Fassade hinauf und meinte: âCook muss als State Constable ja ganz schön gut verdienen, wenn er sich jetzt ein solches Haus leisten kann.â
âPolizisten verstehen es stets, ihr Einkommen aufzubessernâ, erwiderte Will trocken.
âIch glaube nicht, dass er sich noch bestechen lässtâ, sagte Nell. âIch weiÃ, dass er das früher mal gemacht hat â im kleinen Rahmen zumindest â, aber nach den Anhörungen und den Suspendierungen dürfte er da wohl endgültig einen Schlussstrich gezogen haben. Zumindest hätte ich das an seiner Stelle getan.â
âWeil du aus den Fehlern der Vergangenheit lernst. Die meisten Menschen sind indes wenig gewillt, ihr Leben oder ihre Taten infrage zu stellen. Sie folgen einfach nur ihrem Instinkt, ohne weiter darüber nachzudenken, was sie tun oder welche Folgen ihr Handeln haben könnte.â
âSind wir heute Morgen etwas moralisch?â
Nell hätte auf ihre süffisante Bemerkung eigentlich eine ebensolche Erwiderung erwartet â Nur nicht frech werden, etwas in der Art. Doch stattdessen sagte Will nur: âScheint so.â
Es war seltsam gewesen, letzte Nacht so nah bei Will zu schlafen. Ihre Betten standen Kopf an Kopf zu beiden Seiten der Wand, die ihr Schlafzimmer vom Kinderzimmer trennte. Er hatte darauf bestanden, die Verbindungstür die Nacht über offen zu lassen, denn wie sollte er sie
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