Eiskalt Wie Die Suende
sei.â
âMartin wird mal ein richtig guter Pfarrer werdenâ, meinte Will lächelnd. âEr ist der geborene Optimist und diplomatisch noch dazu. Was will man mehr? Und daraus, dass du noch hier bist, schlieÃe ich, dass Nurse Parrish sich derweil um Gracie kümmert, oder sollte Eileen dir schon das Zepter aus der Hand genommen haben?â
âOh.â Nell wünschte, sie müsse ihm diese unerfreuliche Neuigkeit nicht mitteilen. âEs tut mir leid, Will, aber Nurse Parrish â¦â
Sie musste den Satz gar nicht beenden, damit er es verstand. Will schien in sich zusammenzusinken. âVerdammtâ, flüsterte er.
Die hochbetagte Edna Parrish, die einst nicht nur die Kinderfrau von Will und seinen Brüdern gewesen war, sondern auch die ihrer Mutter, gehörte für die Hewitts schon seit Ewigkeiten zur Familie.
âWann?â, fragte Will.
âIm März, während eines Sonntagsgottesdienstes. Sie saà zwischen mir und deiner Mutter, und wir fingen sie auf, als sie plötzlich vornüberfiel. Als wir sie auf die Bank legten, war sie schon nicht mehr bei Bewusstsein. Ich habe noch versucht, sie wiederzubeleben, doch es half alles nichts. Wahrscheinlich ihr Herz. Es hat einfach aufgehört zu schlagen.â
âMoment mal â du warst am Sonntag mit ihr und meiner Mutter in der Kirche? In der Kingâs Chapel ?â Sehr zum Missfallen ihres Gatten hatte Viola es ihrem jüngsten Sohn gleichgetan und sich zugunsten der Unitarier von den Kongregationalisten abgewandt.
âIch ⦠hmm, ja. Es wurde beschlossen, dass Gracie mit deiner Mutter den Gottesdienst besuchen solle, und da doch jemand in der Kirche nach ihr sehen musste, und in Anbetracht der Gebrechlichkeit deiner Mutter und Nurse Parrishs Alter â¦â Nell zuckte die Achseln.
âJa, schon, aber du bist doch katholisch. Mir scheint es eine unzumutbare Forderung seitens meiner Mutter, wenn ich das mal so sagen darf.â
âSie hat es nicht von mir gefordertâ, sagte Nell ruhig. âSie hat mich nicht einmal darum gebeten. Ich habe es ihr selbst vorgeschlagen.â
âDu hast ⦠du hast dich freiwillig bereit erklärt, einen protestantischen Gottesdienst zu besuchen? Du?â
Wills Ãberraschung war durchaus verständlich. Des Ãfteren waren sie sich uneins gewesen, da sie so standhaft an ihrem Glauben festhielt. Insbesondere ihre Weigerung, sich von Duncan scheiden zu lassen, hatte zu Unstimmigkeiten geführt. Will konnte nicht nachvollziehen, weshalb sie mit einem Mann verheiratet bleiben wollte, den sie nicht liebte â und der noch dazu ein zu einer langen Haftstrafe verurteilter Verbrecher war, der ihr einst selbst Gewalt angetan hatte. Sie hatte versucht, ihm ihre Gründe zu erklären, dass ihr fester Glaube ihr geholfen habe, die zu werden, die sie heute war, damals, als sie sich am Tiefpunkt ihres Lebens befunden hatte. Will indes fand, dass ihr starres Festhalten an den Geboten der katholischen Kirche eine Krücke war, derer sie längst nicht mehr bedurfte.
Ich will nur dein Bestes, hatte er letzten Herbst zu ihr gesagt, und das Beste für dich ist, dich von Duncan scheiden zu lassen. Wenn du dich dann jemals dazu entschlieÃt, wieder zu heiraten, und wenn du tatsächlich exkommuniziert werden solltest, ist es die Kirche, die dich ausschlieÃt, nicht aber Gott.
Seine kleine Rede hatte Nell tiefer berührt, als Will jemals hätte ahnen können. Während der letzten Monate waren ihr seine Worte immer wieder durch den Kopf gegangen, sie hatte die möglichen als auch die unabänderlichen Folgen einer solchen Entscheidung bedacht und die Konsequenzen erwogen. Es fiel ihr nicht leicht, sich vom Glauben ihrer Väter loszusagen, jenem Glauben, der ihr über viele Jahre hinweg Halt geboten hatte. Doch ebenso wenig konnte sie sich der schlichten Logik von Wills Worten entziehen, seiner Bitte, die aus tiefstem Herzen gekommen war.
Es war eine Bitte, die eine unausgesprochene Aufforderung enthielt. Wäre sie frei von den Beschränkungen, die die Kirche ihr auferlegte, könnte sie auch frei sein von Duncan â und wäre frei für einen anderen Mann. Natürlich hatte Will ihr gegenüber bislang nie Gefühle offenbart, die über tiefe Freundschaft hinausgingen â zumindest hatte er solche Gefühle nie in Worte gefasst. Und das würde er auch niemals tun, wusste er doch, dass sie eine
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