Eiskalt Wie Die Suende
âImmer wenn ich eine schwangere Frau sehe, die sich in ein Korsett gezwängt hat, würde ich ihr am liebsten gehörig den Kopf zurechtsetzen.â
âDr. Hewitt ist selbst Arztâ, erklärte Nell rasch, da Chloe seine Offenheit ansonsten vielleicht doch eher befremdlich finden könnte.
âNicht praktizierender Arztâ, fügte er hinzu. âMeine praktische Erfahrung mit werdenden Müttern beschränkt sich auf die Zeit während meines Medizinstudiums in Edinburgh. Und das ist schon eine Weile her, es war noch vor dem Krieg.â
âStimmt es denn, was Dr. Mathers sagtâ, fragte Chloe ihn dennoch, âdass es gar keine Möglichkeit mehr gibt, ein ⦠Unglück abzuwenden, wenn man es kommen spürt? Er ⦠er meinte, es wäre eben Gottes Wille, und alles, was ich tun könne, wäre, mich hinzulegen und âder Natur ihren Lauf zu lassenâ. Aber wissen Sie, er ist ja doch schon recht alt. Sie sind viel jünger als er, Ihr Studium liegt noch nicht so lange zurück. Gibt es denn keine neuen Erkenntnisse? Irgendein Mittel â¦â
Will hob bedauernd die Schultern. âMir wurde auch noch beigebracht, in solchen Fällen Bettruhe zu verordnen. Aber Miss Sweeney dürfte in derlei Dingen gewiss mehr Erfahrung haben als ich.â
âIch habe vier Jahre als Krankenschwester bei einem Arzt auf Cape Cod gearbeitetâ, erklärte Nell. âEs gibt einige einheimische Kräuter, die bereits von den Indianern benutzt wurden, um eine Fehlgeburt zu verhindern. Wunder wirken sie allerdings nicht. Das Beste, was Sie tun können, ist tatsächlich, sich nicht allzu sehr anzustrengen, damit es gar nicht erst so weit kommt.â
âAch jaâ, seufzte Chloe, âich bleibe ja schon die meiste Zeit zu Hause â ich lese, sticke, male ⦠Mir ist sterbenslangweilig, aber ich werde es durchstehen, denn ich wünsche mir dieses Kind so sehr â und Colin auch. Er hat extra ein Mädchen für mich angestellt, das jeden Mittag zum Kochen und Putzen kommt. Ich hatte ihn gebeten, noch niemandem zu erzählen, dass ich wieder guter Hoffnung bin. Nun denkt er, ich wäre abergläubisch, aber das bin ich keineswegs. Ich kann nur das Mitleid nicht mehr ertragen, und wenn ⦠wenn diesem Kind wieder etwas geschehen sollte â¦â Seufzend verstummte sie.
âAber Ihrer Familie haben Sie doch bestimmt davon erzählt?â, fragte Nell, derweil sie sich Zucker und Milch in den Tee rührte.
âMeine Eltern leben nicht mehr. Ich habe nur noch meinen älteren Bruder James. Er lebt in New York und ist auch Polizist. Colin hat hier in den Staaten gar keine Verwandten. Er ist damals ganz allein von Irland hergekommen. Meine gute Freundin Lily Booth, die gleich hier um die Ecke wohnt, ist die Einzige, der ich es erzählt habe. Sie hat mir auch gestern fast den ganzen Tag Gesellschaft geleistet, um mich ein wenig zu beruhigen und mich auf andere Gedanken zu bringen, denn die Aufregung bekommt dem Baby gewiss auch nicht.â
âDaran hat sie gut getanâ, meinte Will, âdenn in Anbetracht Ihrer Umstände und Ihrer Vorgeschichte sollten Sie wirklich versuchen, sich nicht allzu sehr aufzuregen.â
âGewiss ein gut gemeinter, weiser Rat, Dr. Hewittâ, seufzte Chloe, âaber nach allem, was passiert ist â¦â Erschöpft lehnte sie sich zurück. âWenn man doch sagt, dass Colin â¦â
âWir wissen bislang sehr wenig darüber, was eigentlich genau passiert sein sollâ, unterbrach Nell sie. âDetective Skinner hat mir gestern einen Besuch abgestattet, viel erfahren habe ich von ihm allerdings nicht.â
Chloe verzog das Gesicht. âBei mir war er auch. Grässlicher Mann â Colin kann ihn nicht ausstehen.â
âWir wissen eigentlich nurâ, sagte Nell, âdass Detective Cook am Dienstagabend einen gewissen Johnny Cassidy in einem Saloon namens Nabbyâs Inferno erschossen haben soll.â
âWann haben Sie Ihren Mann denn zuletzt gesehen?â, wollte Will von Chloe wissen.
âAm Dienstagnachmittag. Er kam mittags zum Essen nach Hause. Weil er oft bis spät am Abend arbeitet, ist das in der Regel die einzige Mahlzeit, zu der wir uns sehen. Oft bin ich schon längst schlafen gegangen, wenn er nach Hause kommt. Als ich gestern früh aufwachte, war er nicht da. Sein Kissen war unberührt. Da wusste ich gleich, dass
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