Eiskalt Wie Die Suende
Irland zu kämpfen. Leider waren die Aufständischen sehr schlecht organisiert und scheiterten kläglich. Die meisten von ihnen wurden nach Van Diemenâs Land verbannt â oder Tasmanien, wie es ja mittlerweile heiÃt. Colin und einigen anderen gelang die Flucht nach Amerika, bevor man auch sie verhaften konnte.â
âWovon hat er gelebt, bevor er zur Polizei gegangen ist?â, fragte Nell.
âDie ersten Jahre hat er in den Kohlengruben in Pennsylvania gearbeitet. Er stammte aus einer Familie, die sich daheim in Tipperary in den Zinkminen verdingt hatte, weshalb die Arbeit unter Tage ihm nicht ganz fremd war. Doch es war eine elende Plackerei, und die Arbeitsbedingungen waren miserabel. Die Besitzer der Grube scherten sich nicht darum, ob ihre Arbeiter krank wurden oder gar starben, wenn nur der Profit stimmte. Colin tat sich mit einigen Männern zusammen, die versuchen wollten, die Arbeiter zu organisieren, doch letztlich erwiesen diese Leute sich als ebenso eigennützig und korrupt wie die Grubenbesitzer, weshalb aus der Sache nichts wurde.â
âDas muss recht entmutigend für ihn gewesen seinâ, meinte Will, âzumal nach seinen Erfahrungen in Irland.â
âColin pflegt gern zu sagen, dass auch die besten Absichten der Versuchung durch ein bisschen Macht und Einfluss wohl nicht standhalten können. Irgendwann war es ihm dann genug, und er kehrte nach Boston zurück.â
âDas müsste ⦠irgendwann in den Fünfzigern gewesen seinâ, rechnete Nell nach.
Chloe nickte und hob ihre mittlerweile leere Tasse an die Lippen. âEs war 1855, soweit ich weiÃ. Das war noch bevor wir uns kennenlernten.â
âUnd was hat er dann in Boston gemacht?â, fragte Will. âWovon hat er gelebt?â
Mit gerunzelter Stirn blickte Chloe in ihre Tasse. âWie ich schon sagte, ich kannte ihn zu jener Zeit noch nicht. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen da nicht weiterhelfen kann.â
âWie haben Sie ihn denn kennengelernt?â, fragte Will unverdrossen weiter.
Wieder lieà Chloe sich ein Weilchen Zeit, bevor sie antwortete. âWir hatten gemeinsame Bekannte.â
Gespannt beugte Will sich vor. âIm North End? Lebten Sie damals dort?â
âEine Zeit lang, ja.â Sie sah von ihrer Tasse auf und setzte hinzu: âEntschuldigen Sie, aber ich weià wirklich nicht, was all diese Dinge, die vor so langer Zeit geschehen sind, auch nur entfernt mit dem zu tun haben könnten, was ⦠am Dienstagabend passiert ist.â
âWenn Sie sich im North End auskennenâ, meinte Will, âkönnte das für uns sehr hilfreich sein bei â¦â
âEs ist zehn Jahre her, dass ich dort gelebt habe â nein, elf sogarâ, sagte Chloe. âIch kann Ihnen über das Viertel auch nicht mehr sagen, als dass ich hoffe, nie wieder einen Fuà dorthin setzen zu müssen.â
âWir wollen uns heute Abend dort umsehen und ein paar Fragen stellenâ, meinte Nell.
âDas sollten Sie besser bei Tage machenâ, riet ihr Chloe. âJe später die Stunde, desto mehr Ungeziefer kriecht dort aus allen Winkeln hervor â menschliches Ungeziefer, wohlgemerkt, wenngleich es von der anderen Sorte auch nur so wimmelt.â
âWohl wahrâ, stimmte Will ihr zu, âaber von genau diesen Leuten hoffen wir zu erfahren, was dort alles so vor sich geht. Seien Sie unbesorgt wegen Miss Sweeney â ich werde sie nicht eine Sekunde aus den Augen lassen.â
âWaren Sie denn überhaupt schon mal im North End?â, fragte Chloe Nell.
âIch besuche jeden Sonntag die Frühmesse in St. Stephen.â
âAh ja, das war auch Colins Kircheâ, sage Chloe.
âWar?â
âEr hat sich von der katholischen Kirche abgewandt, obwohl er einstmals ein glühender Papist war. Als er jung war, wollte er sogar Priester werden.â
âWirklich?â Nell versuchte sich den groÃen, grimmigen Iren mit seinen massigen Schultern und dem bulligen Kopf vorzustellen, wie er im geistlichen Gewand die Messe las. Seltsamerweise mutete ihr die Vorstellung gar nicht mal so abwegig an, wie es zunächst scheinen mochte.
âDas ging auf den Einfluss seiner Mutter zurückâ, erklärte Chloe. âSie hielt ihn für etwas Besonderes, anders als seine Brüder. Während die von früh bis spät in den Minen arbeiten mussten, lieà sie ihn jeden Tag ein
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