Eiskalt Wie Die Suende
Seit dem Tag unserer Heirat waren wir noch nie so lange voneinander getrennt wie jetzt.â
âWann haben Sie geheiratet?â, fragte Nell.
âAm 29. Oktober 1864. Colin war im September aus der Armee entlassen worden. Sowie wir sicher wussten, dass man ihn bei der Polizei wieder einstellen würde, haben wir geheiratet.â
âWoraus ich mal schlieÃe, dass Sie ihn bereits vor dem Krieg kanntenâ, vermutete Nell.
âJa, noch nicht besonders gut zwar, aber ⦠ich, ähm, schrieb ihm, als ich herausgefunden hatte, bei welchem Regiment er war. Er hat mir zurückgeschrieben. Wir führten einen Briefwechsel, der â ja, wie soll ich sagen? â gefühlvoller wurde, als wir das jemals erwartet hätten. Und in seinem letzten Brief bat er mich, ihn zu heiraten, da er sich nicht sicher war, ob er noch den Mut dazu aufbringen würde, wenn er vor mir stünde. Natürlich nahm ich seinen Antrag an. Colin war â¦â Chloes Blick schweifte ab in Richtung des von Unkraut überwucherten Gartens. âEr war anders als alle Männer, die ich kannte. Einerseits so groà und bullig, Sie wissen schon, und mit seiner gebieterischen Art, die manchmal etwas einschüchternd sein kann. Er hat eine raue Schale, aber â¦â Wieder schimmerten Tränen in ihren Augen, als sie sich die Hand an die Brust presste. âIn diesen Briefen sprach er mit seinem Herzen zu mir. Und es war sein Herz, in das ich mich verliebte.â
âDürfte ich fragen, was Sie überhaupt dazu bewogen hat, den Briefwechsel zu beginnen?â, erkundigte sich Will.
Sie wandte den Kopf und sah ihn leicht verwundert an.
Erklärend fügte er hinzu: âSie meinten, dass Sie ihn noch nicht lange kannten. Es scheint mir für eine Dame doch ⦠ein sehr gewagter Schritt. Ich bin einfach nur neugierig, was Sie dazu bewegt hat.â
Sie zögerte, als müsse sie ihre Antwort erst genau abwägen. âIch hatte ihm geschrieben, da ich mich bei ihm für etwas bedanken wollte.â
âWürden Sie uns verraten, wofür Sie sich bedanken wollten?â
âNein, denn es ist nicht weiter von Belangâ, erwiderte Chloe und wischte mit ihrer Serviette einen Tropfen Tee vom Tisch. âIch meine, es ist für das, was jetzt geschehen ist, nicht von Belang. Es hat nichts damit zu tun â kann nichts damit zu tun haben.â
âIch frage eigentlich nur deshalb so beharrlichâ, meinte Will, âda wir im Grunde so wenig über Detective Cook wissen, und je mehr Informationen wir über seinen Hintergrund und vor allem auch über seine Laufbahn bei der Polizei haben, desto eher können wir â¦â
âDamit hatte es nichts zu tunâ, unterbrach ihn Chloe. âEs ⦠es war wegen etwas, das geschah, noch ehe er zur Polizei ging.â
âWann war das?â, fragte Will. âIch meine, seit wann ist er bei der Polizei?â
âSeit Januar 1860. Im September des darauf folgenden Jahres hatte er sich drei Jahre beurlauben lassen, um bei den Scharfschützen der ersten Kompanie zu dienen, doch danach kehrte er zur Polizei zurück.â
âBei den Scharfschützen?â, wiederholte Will. âAlle Achtung.â
Stolz schien in Chloes Augen auf, als sie sagte: âBei den Rekrutierungsübungen musste Colin aus zweihundert Meter Entfernung eine gerade mal zehn Zoll groÃe Zielscheibe treffen. Er hatte zehn Schuss und hat jedes Mal ins Schwarze getroffen.â
âWo hat er denn so gut schieÃen gelernt?â, wollte Nell wissen.
âIn der alten Heimatâ, sagte Chloe. âEr hat Daniel OâConnells Young-Ireland-Bewegung angehört, die den Act of Union rückgängig machen und die Diskriminierung der katholischen Bevölkerung beenden wollte. Bis zum Ausbruch der groÃen Hungersnot war es eigentlich eine recht friedliche Bewegung, doch dann reichte es einigen von ihnen endgültig, und sie griffen zu den Waffen. Wahrscheinlich wissen Sie über den Rest â den Aufstand von 1848 â Bescheid.â
âAber natürlichâ, sagte Nell. âIch lebte damals ja noch in Irland. Und obwohl ich noch so klein war, kann ich mich gut daran erinnern, dass mein Vater und seine Freunde über nichts anderes mehr redeten.â
âColin war daran beteiligtâ, fuhr Chloe fort. âEr war damals achtzehn, ein ziemlicher HeiÃsporn und Feuer und Flamme, für ein freies
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