Eiskalt Wie Die Suende
und einen Polizisten lässt man lieber nicht warten. Warum schaust du nicht noch mal mit Miss Tierney, dass du auch nichts vergessen hast, was du nach Cape Cod mitnehmen willst? Ich bin auch so rasch wie möglich zurück.â
Als sie davonging, hörte Nell, wie Gracie Eileen fragte: âMiss Tierney, was heiÃt denn âgezeugtâ?â
âÃhm â¦â
ââVon einem Hewitt gezeugtââ, beharrte Gracie. âWas heiÃt das?â
Herrje. An der Tür blieb Nell kurz stehen und drehte sich um. âDas erkläre ich dir späterâ, versprach sie Gracie, wenngleich sie keine Ahnung hatte, wie sie sich diesmal unverfänglich aus der Affäre ziehen sollte.
Als Nell die Tür des Musikzimmers öffnete, stand Charlie Skinner mit dem Rücken zu ihr. Offenbar hatten die zahlreichen Familienporträts, die sich entlang der mit Rosenholzpaneel getäfelten Wände reihten und bereits vorsorglich für den Sommer verhüllt worden waren, seine Neugier geweckt. Gerade hob er das Laken hoch, um ein kolossales Ganzkörper-Bildnis von August Hewitt zu betrachten, welches von seiner Frau Viola gemalt worden war.
âSie wollten mich sprechen?â, fragte Nell und schloss die Tür hinter sich. Solange sie nicht wusste, was Skinner von ihr wollte, dürfte es besser sein, wenn niemand ihr Gespräch mit anhörte.
Skinner drehte sich um, lieà das Laken fallen und bedachte sie mit jenem Blick unbestimmt belustigter Verachtung, der ausschlieÃlich ihr vorbehalten schien. Seit sie ihn im vorigen Jahr zuletzt gesehen hatte, hatte er sich kaum verändert â noch immer war er von schmächtiger Gestalt, mit dem Gesicht eines kleines Nagetiers, doch sein schon vorzeitig von den ersten grauen Strähnen durchzogenes Haar war sichtlich noch stärker ergraut.
Mit unverhohlener Herablassung lieà er seinen Blick über sie schweifen. âMiss Sweeney.â Dass er ihren irischen Namen derart betonte, dürfte als Beleidigung gedacht sein.
Da sie ihm in dieser Hinsicht nicht nachstehen wollte, lieà auch Nell eine Weile ihren Blick spöttisch auf Skinner ruhen, auf der dunkelblauen Uniform eines einfachen Wachtmeisters der Bostoner Polizei. An seinem Gürtel hingen ein Paar Handschellen, Schlagstock und Pistolenhalfter. Sein Polizeihelm lag auf dem unter weiÃem Linnen verhüllten Konzertflügel.
âConstableâ, grüÃte sie ihn mit einem feinen, kühlen Lächeln. âEs ist doch wieder âConstableâ und nicht mehr âDetectiveâ, oder?â
Skinner presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, bevor er sich ein wenig erfreuliches Grinsen abrang. Als Nell ihn zuletzt gesehen hatte, hatte er im Dienst noch einen Anzug getragen und eine der bunt karierten Westen, für die er unerklärlicherweise eine groÃe Vorliebe zu haben schien. Damals war er aber auch noch einer der sieben Polizisten gewesen, die man dem neu geschaffenen Kriminaldezernat zugeordnet hatte, mit einem eigenen Büro im Bostoner Rathaus. Im Februar jedoch, nachdem Beschwerden über die weitverbreitete Korruption bei der Polizei zu endlos langen Anhörungen geführt hatten, war die Kriminalbehörde wieder aufgelöst worden. Die betroffenen Beamten waren, bis auf eine Ausnahme â denn nur einer der Kriminalpolizisten war keiner gröÃeren Vergehen für schuldig befunden worden â, entlassen oder zum Rang eines einfachen Wachtmeisters degradiert worden. Wie es schien, war es auch Skinner gelungen, auf diese Weise im Dienst zu bleiben, doch die Herabstufung kratzte sichtlich an seiner Ehre.
Dumpfes Poltern drang herein, als drauÃen in der Eingangshalle etwas auf den Marmorboden fiel, gefolgt von einem wütenden, bis in das Musikzimmer zu vernehmenden: âVerfluchter Mist!â
âIn diesem Haus hütest du gefälligst deine Zunge, junger Mann.â Das war unverkennbar Mrs. Mott, die den ungehobelten jungen Gehilfen in bester Despotenmanier zurechtwies. âLos, ihr beiden, hebt den Koffer auf. Und ein bisschen schnell, wenn ich bitten darf.â Sie verpasste den beiden je eine schallende Ohrfeige. âIhr seid nicht eingestellt worden, um hier dumm herumzustehen.â
âDa drauÃen ist der Teufel losâ, bemerkte Skinner kopfschüttelnd.
Tatsächlich herrschte im prächtigen, an einen Palazzo der italienischen Renaissance erinnernden Stadthaus der
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