Eiskalt Wie Die Suende
vornehm zu reden, weil die Leute einen danach beurteilen, was einem aus dem Mund kommt, sagt er. Wenn man also im Leben was erreichen will, dann muss man erst mal so reden wie die Person, die man werden will. Er sagt immer, man soll daran denken, wo man hin möchte, nicht daran, wo man herkommt.â
âDas stimmt allerdingsâ, sagte Nell, der selbst das Glück einer solchen Verwandlung vergönnt gewesen war.
âEr bringt mir Zeitungen zum Lesen mitâ, sagte Denny, âund seine Ausgaben von Harperâs und Putnamâs und andere Magazine, wenn er mit ihnen durch ist. Und Bücher aus der Bibbel ⦠Biblio thek. Das hier hat er mir auch mitgebringt ⦠gebracht.â Er zog das Buch heraus, das er sich hinten in den Hosenbund gesteckt hatte, und zeigte es ihnen.
â Der letzte Mohikaner â , las Will den Titel. âTolle Geschichte.â
âJa, doch ⦠ganz gutâ, befand Denny und steckte das Buch wieder weg. âMary hat es richtig gut gefallen. Ich hab ihr nämlich meine Bücher geliehen, damit sie sie heimlich lesen kann. Johnny mochte das nicht, wenn sie las, weil sie dann wie ein Blaustrumpf aussähe und auf dumme Gedanken kommen könnte, meinte er. Aber ich glaube, es gefiel ihm vor allem deshalb nicht, weil er selbst nicht so gut lesen konnte â zumindest nicht gut genug, um Bücher zu lesen. Mein Lieblingsbuch ist âIvanhoeâ . Nachdem Mary damit durch war, hab ich es gleich noch mal gelesen, oder fast eben. Ich musste es zurückgeben, bevor ich ganz durch war, weil Detective Cook es wieder in die ⦠in die Bücherei bringen musste.â
âWenn du willst, könnte ich dir ein eigenes Exemplar kaufenâ, bot Will ihm an. âDann kannst du es so oft lesen wie â¦â
âNein, nein, kommt nicht infrage. Aber trotzdem danke, Mister. Detective Cook hat genau dasselbe gesagt, aber das ist was ganz anderes, als Bücher aus der Bücherei zu bekommen. Das wär ja wie Almosen. Geld hat er mir auch geben wollen, Detective Cook, aber das hab ich auch nicht genommen.â
âEigenverantwortung ist eine sehr löbliche Eigenschaftâ, meinte Nell, âaber es ist auch sehr schön, wenn man Menschen, die man mag, helfen kann â oder Hilfe von ihnen annehmen kann.â
âMeine Mum hat mir immer gesagt, ich soll keine Almosen annehmen, und nur weil sie jetzt nicht mehr da ist und es nicht mehr sehen kann, werdâ ich jetzt nicht damit anfangen. Das hab ich auch Detective Cook gesagt, und der meinte, dann sollte ich mich mal auf eine Menge harte Arbeit gefasst machen, denn das braucht es, wenn man ohne fremde Hilfe vorankommen will. Aber genauso werdâ ich es machen.â
âWenn Detective Cook wirklich ein so anständiger Kerl ist, wie du ihn beschreibst, dann kann ich verstehen, warum du nicht glaubst, dass er Johnny Cassidy umgebracht hat. Aber was glaubst du, weshalb Pru das behauptet hat?â
Voller Abscheu sagte Denny: âSie behauptet, sie hätte ihn mit gezückter Knarre über dem toten Johnny stehen sehen, aber â¦â
âJa, hab ich, weil ichâs genau so gesehen hab, du kleiner Pickel.â Einer der roten Vorhänge wurde aufgerissen, und zum Vorschein kam eine dunkelhaarige junge Frau im Flitterkleidchen, die sich gerade ihr Mieder zuhakte. Sie hatte bleiche Haut, stumpfe, schwarz umrandete Augen und volle, sinnliche Lippen. Das Mobiliar der âTanzkabineâ bestand aus einem Strohsack, der samt einer Decke auf dem Boden lag sowie einem schlichten Holzstuhl, auf dem ein fettleibiger, schnauzbärtiger Gentleman in Hemdsärmeln saà und vor Anstrengung schnaufte, als er versuchte, seinen seidenbestrumpften Fuà wieder in den Schuh zu bekommen.
âWillst du etwa behaupten, ich würde lügen?â, fragte Pru Denny und kam, die Hände auf die Hüften gestemmt und das Mieder noch immer halb offen, herbeigeschlendert. Sie brachte einen süÃlich-sauren Geruch nach Schweià und Rosenöl mit sich.
âWarst du an jenem Abend überhaupt nüchtern genug, um zu wissen, was du gesehen hast?â, erwiderte Denny und lieà sich nicht einschüchtern.
âDa wir Mädchen bei der Arbeit nichts trinken dürfenâ, entgegnete sie spöttisch, âmuss ich wohl nüchtern gewesen sein, nicht wahr?â
âAch, komm schon, Pruâ, meinte Denny. âIch bin doch nicht blöd, und eine
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