Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
klingelte.
»Verdammt«, sagte er und ging wieder zu seinem Telefon.
Es war Pia Levin.
»Hallo«, meldete er sich. Er lächelte, weil er schon wieder nackt mit dem Telefon in der Diele stand.
Sie klang müde, aber aufgeregt. Sie habe einiges zu erzählen, wolle mit den Einzelheiten jedoch warten, bis sie zurück sei. Sie rechne damit, gegen vier Uhr nachmittags im Büro zu sein. Ob sie ihn dann sprechen könne?
»Klar. Ich sag noch Ellen Bescheid, dann sparen wir Zeit«, sagte er und beendete das Gespräch.
Nachdem er lange und heiß geduscht und ausgiebig gefrühstückt hatte, fuhr er mit dem Auto in die Klinik. Er hatte Jonny Anderssons Arzt angerufen. Der Patient war offenbar sehr deprimiert und hatte während der vergangenen Tage seine Einstellung vollkommen verändert. Wahrscheinlich beruhe diese Persönlichkeitsveränderung darauf, dass ihm bewusst geworden sei, vermutlich nie wieder sehen zu können, hatte der Psychologe erklärt. Für gewöhnlich spräche er nicht mit Außenstehenden über seine Patienten, aber dieser Fall sei speziell, und außerdem wolle man der Polizei helfen.
Holtz schlenderte durch einen Korridor. Er staunte, wie viele Leute überall waren. Zwei junge Ärzte in weißen Kitteln über Jeans und gestreiften Oberhemden gingen in eine Unterhaltung vertieft an ihm vorbei, und hinter einem Fenster saß eine Krankenschwester in ihre Papiere vertieft. Sie sah auf, als er an ihr vorbeiging, blickte dann aber sofort wieder in die Unterlagen, ohne sein Lächeln zu erwidern. Hinter ihr führten einige Frauen eine hitzige Diskussion. Es wirkte wie eine Pantomime. Lauschig, dachte Holtz und wäre fast mit einem Mann afrikanischer Herkunft in mintgrüner Kleidung zusammengestoßen, der einen Essenswagen vor sich her schob. Der Geruch von Bouillon stieg ihm in die Nase. Patienten sah er keine. Er vermutete, dass sich alle in ihren Zimmern befanden.
Die Beschreibung des Arztes war zutreffend gewesen. Jonny Andersson brummte nur etwas, als Holtz das Zimmer betrat und seinen Namen nannte. Er saß im Schneidersitz auf dem Bett und wiegte sich hin und her wie ein Käfigtier im Zoo.
»Wie geht es Ihnen?«
Andersson hielt in der Bewegung inne und wandte seinen bandagierten Kopf der Stimme zu.
»Was glauben Sie? Fantastisch. Ich werde nie mehr etwas sehen können, aber was spielt das schon für eine Rolle? Gibt ja heutzutage prima Blindenstöcke. Vielleicht schenkt mir ja jemand einen Blindenhund? Oder ich kann den Hund ausleihen, der mich angegriffen hat«, sagte er und lachte.
Das Lachen klang allerdings etwas angestrengt und hielt zu lange an.
Er verstummte.
Und begann dann zu weinen.
Ein leises, nicht enden wollendes klägliches Wimmern.
Holtz stand neben dem Bett und wusste nicht, was er sagen oder tun sollte.
»Was wollen Sie eigentlich von mir?«, fragte Andersson, als er sich wieder etwas gefasst hatte.
»Ich wollte mich mit Ihnen über Johan Seger unterhalten.«
»Weswegen? Der ist doch tot? Was können Sie dagegen schon unternehmen?«
»Ich könnte zumindest versuchen, seinen Mörder hinter Gitter zu bringen.«
Andersson schwieg lange, immer noch mit untergeschlagenen Beinen und hängendem Kopf.
»Okay«, sagte er dann, seufzte und reckte sich. »Setzen Sie sich.«
»Kann ich Ihnen irgendwas zu trinken holen?«, fragte Holtz.
»Nein danke. Im Moment nicht. Später vielleicht. Wo soll ich beginnen?«
»Ganz am Anfang.«
Holtz verbrachte den ganzen Vormittag in Jonny Anderssons Krankenzimmer. Andersson erzählte von seinem ermordeten Freund und Gesinnungsgenossen, und Holtz schrieb mit. Er hörte die meiste Zeit zu und warf nur gelegentlich eine Frage ein. Die Worte sprudelten förmlich aus Andersson hervor.
Sie hatten sich bei einem Neonazikonzert kennengelernt und sofort eine eigenartige Zusammengehörigkeit verspürt. Im Scherz hatten sie gesagt, sie seien Yin und Yang. Jonny der Harte, Kalte und Wütende. Johan der Warme, Verständnisvolle und Kluge. Gemeinsam waren sie ein kreatives und erfolgreiches Team.
Johan Seger sei gar nicht der gewesen, für den ihn alle immer gehalten hätten, erklärte Jonny Andersson. Eigentlich habe er sich gar nicht sonderlich für Politik interessiert. Er habe sich zwar sehr für die Bewegung engagiert, als er mit ihr in Kontakt gekommen sei, aber das sei mehr aus dem Gefühl heraus geschehen, durch die Verurteilung wegen Kindesmisshandlung von allen verraten worden zu sein. Er sei jung gewesen, enttäuscht und habe nichts mit sich
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