Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
erlitten?«
»Marcus.«
»Ach, tatsächlich?«, sagte Massoud.
Die Stimmung war umgeschlagen. Holtz hatte das Gefühl, dass Massoud von einem Augenblick auf den nächsten nicht mehr freundlich und fröhlich, sondern geradezu feindselig war.
»Es sieht nicht so aus, als würde Marcus noch kommen. Ich muss los.« Massoud streckte die Hand nach dem Rollstuhl aus.
Holtz wusste nicht, was er sagen sollte, sondern saß einfach da, während Massoud den Rollstuhl aufklappte und sich gewandt hineinschwang. Er nickte Holtz kurz zu und rollte dann wortlos davon. Auf dem Weg fuhr er über eine auf dem Boden liegende Tasche und entschuldigte sich nicht einmal. Die Besitzerin der Tasche starrte ihm wütend hinterher.
Holtz kam sich wie ein Idiot vor.
Levin schloss die Tür hinter sich und blieb stehen. Der Geruch von Zigarettenrauch vermischte sich mit dem Duft von Schmierseife. Sie zog eine Plastikverpackung aus ihrer Tasche, riss eine Ecke auf und zog sich ein Paar sterile Latexhandschuhe über. Über die Schuhe stülpte sie ebenfalls Plastiküberzüge.
In der Diele standen schwere, unmoderne Möbel, die sie an eine Ausstellung in einem alten Schloss erinnerten, die sie vor vielen Jahren besucht hatte. Es fehlte nur das dicke Absperrtau, dann wäre die Illusion eines gut erhaltenen antiken Interieurs perfekt gewesen. Sogar eine alte Truhe gab es. Levin hängte sich die Tasche über die Schulter und begann ihren Rundgang. Nirgends fanden sich Spuren, die darauf hindeuteten, dass das Haus bewohnt war. Der Kühlschrank war leer, die Speisekammer ebenfalls. Dort stand nur eine Kaffeedose vom Anfang des vorigen Jahrhunderts. Sie öffnete sie und atmete den Duft frischgemahlenen Kaffees ein. Immerhin etwas, dachte sie und stellte die Dose zurück.
Die Küche war alt, sah aber aus, als funktioniere alles. Sie zog rasch alle Schubladen auf, ohne dass ihr etwas Besonderes aufgefallen wäre. Schließlich öffnete sie die Klappe des Holzherdes. Die Asche war kalt. Darin lag etwas nicht vollständig Verbranntes. Sie zog ein zusammengerolltes Blatt Papier hervor, drehte es hin und her und stellte fest, dass es nur an den Rändern angesengt war. Vorsichtig legte sie die Rolle in eine Papiertüte aus ihrer Tasche und setzte dann die Durchsuchung fort. Sie öffnete einen Schrank nach dem anderen, fand darin aber nur feines Porzellan, gemangelte Laken und Handtücher. Alles war an seinem Platz. Es herrschte eine perfekte Ordnung. Sie setzte sich auf einen Stuhl in der Küche und versuchte sich vorzustellen, wie das Leben in diesem Hause abgelaufen war. Wie war Gabriel Marklund aufgewachsen? Hatte er gewusst, dass er ein Adoptivkind war, oder hatte man ihm diesen Umstand verheimlicht?
Wo befand er sich?
Sie spürte, wie Müdigkeit sie überkam, schaltete die Taschenlampe ein und legte sie auf den Küchentisch, damit der Lichtkegel den Raum erhellte. Im Schein der Lampe sah sie etwas auf dem Tisch. Sehr kleine Flocken.
Sie beugte sich vor, schnupperte und erkannte den Geruch sofort. Vorsichtig verstaute sie die Flocken in einem Umschlag aus ihrer gut ausgestatteten Tasche.
Nachdem sie das Erdgeschoss durchsucht hatte, ging sie die Treppe hinauf. Die Stufen knarrten, und das Geländer war lose. Sie hatte den Eindruck, dass jeder Schritt kilometerweit zu hören war, und hielt auf fast jeder Stufe inne, um zu lauschen. Die Stille war kompakt. Ihr Fuß schmerzte, aber die Anspannung ließ sie ihren verstauchten Knöchel vergessen.
Im Obergeschoss befanden sich zwei Zimmer. Das erste war, wie sie in der Dunkelheit ahnte, ein Schlafzimmer. Levin brauchte mehr Licht. Sie war sich ziemlich sicher, dass das Haus nicht von der Landstraße aus zu sehen war. Offenbar befand sich niemand in der Nähe. Der Lichtschalter war aus Bakelit und machte einen ziemlichen Lärm, als sie ihn betätigte. Das Zimmer wurde von einem riesigen Doppelbett und einem Kleiderschrank dominiert. Sie stand in der Tür und dachte nach. Irgendetwas war an diesem Zimmer, an den Bildern augenfällig. Über dem Bett war deutlich eine helle, rechteckige Fläche zu sehen. Ein Bild, das sich sehr lange dort befunden hatte, hing nicht mehr dort.
Da ging es ihr auf. Es gab keine Fotos im Haus. Keine Familienbilder.
Sie durchsuchte das Zimmer, ohne etwas von Interesse zu finden.
Das andere Zimmer sah ganz anders aus. Sie erkannte sofort, dass es sich um Gabriel Marklunds Zimmer handelte. Es war eine Spur moderner als der Rest des Hauses. Bett, Schreibtisch, ein volles
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