Eiskalte Rache: Thriller (German Edition)
die Einladung angenommen. Offenbar wurde nichts aus der geplanten Lateinamerikareise. Erfreut über ihre Zusage hatte er Eva angerufen, ihr davon erzählt und gesagt, dass sie ebenfalls sehr willkommen sei. Eva hatte geantwortet, dass sie nicht wisse, ob sie zu Hause sei, da sie sich für Weihnachten zum Bereitschaftsdienst gemeldet habe. Aber da während der hohen Feiertage nur selten Abschiebungen vollzogen wurden, glaubte sie, auch kommen zu können. Ein Weihnachtsgeschenk wolle sie keines. Er doch wohl auch nicht?
Ulf Holtz hatte lachend geantwortet, nein wirklich nicht, aber irgendwas würde er vermutlich doch bekommen. Was sollte er bloß seinen Töchtern kaufen? Junge Frauen mit einem eigenen Leben? Was schenkte man ihnen?
Von Nahid hatte er nichts gehört. Er hatte nicht die Zeit gehabt, sie anzurufen. Oder vielleicht hatte ihm auch der Mut gefehlt. Er sann darüber nach, wie es möglich war, dass ein erwachsener, gut ausgebildeter, einigermaßen weltgewandter und weit gereister Mann wie er sich wie ein Teenager benahm, der es nicht wagte, ein Mädchen auf dem Schulball zum Tanz aufzufordern. Eine plausible Erklärung fiel ihm nicht ein.
Er zappte von einer Bildschirmtextseite zur nächsten, ohne zu verstehen, was er eigentlich las. Selbstmitleid überfiel ihn. Ohne erkennbaren Grund war seine Laune auf den Nullpunkt gesunken. Er spürte, wie ihm die Tränen kamen. Warum bin ich so allein?, dachte er. Er wusste, er gehörte nicht zu den Leuten, die die Gabe besaßen, Freundschaften zu pflegen, und in seinem Innersten spürte er, das Problem bestand darin, dass er sich in seiner eigenen Gesellschaft am wohlsten fühlte. Geselligkeit war anstrengend und funktionierte nicht einmal dann, wenn er sich Mühe gab. Er hatte geglaubt oder gehofft, der Besuch Marcus Kosters sei Ausdruck von Freundschaft oder zumindest ein Ersatz dafür gewesen. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Er hatte versucht, Koster nach dem seltsamen Cafébesuch, zu dem er nicht erschienen war, zu erreichen. Holtz war klar, dass er mit seiner Bemerkung Massoud gegenüber ins Fettnäpfchen getreten war, begriff aber nicht recht, in welcher Hinsicht. Er hatte Marcus zu Massouds Reaktion befragen wollen, ihn aber nicht erreicht, obwohl er sowohl im Vereinshaus als auch auf seinem Handy angerufen hatte. Kosters Privatnummer hatte er nicht. Er wusste nicht einmal, wo er wohnte. War das ein Zeichen von Desinteresse oder ein Beweis dafür, dass ihm andere Menschen gleichgültig waren?
Er wurde müde. Die Buchstaben auf dem Bildschirm verschwammen. Er schaltete den Fernseher aus und schleppte sich ins Schlafzimmer.
Als das Telefon klingelte, war er verwirrt, und es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass er sich in seinem eigenen Schlafzimmer befand. Die Decke lag auf dem Fußboden. Er fror. Er richtete sich auf und begann, nach seinem Handy zu suchen. Er fand es in der Diele – zu spät. Eine unbekannte Nummer, stellte er fest.
Wenn es etwas Wichtiges war, klingelt es sicher gleich wieder, dachte er und ging ins Badezimmer. Auf dem Weg dorthin warf er einen Blick auf den winzigen, schneebedeckten Garten. Ein Schwarm kleiner Vögel war vollauf mit der Ährengarbe beschäftigt, die er am Vortag gekauft hatte. Er hatte sie einfach zu den Wichteln, dem Christbaumschmuck und dem Halmbock in den Einkaufswagen gelegt. Vielleicht eine Erinnerung oder die Illusion einer Erinnerung. Er hatte sie an einem alten Besenstiel festgebunden und in den Garten gestellt. Die Vögel waren ganz verrückt danach. Plötzlich fühlte er sich unerwartet ausgeschlafen und gut gelaunt. Er verbannte die Erinnerung an die Nacht in eine entlegene Ecke, während er beobachtete, wie sich die Vögelchen satt aßen. Es würde schön sein, einmal wieder richtig Weihnachten zu feiern. Er nahm sich vor, sich mehr um seine wenigen Freunde zu kümmern. Dann zog er seine Unterhose aus und stellte sich unter die Dusche.
Da klingelte es ein weiteres Mal. Er eilte in die Diele und hob ab. Es war Jörgen Bylund, der Chef vom Ton. Der Anruf bei der Notrufnummer anlässlich der Vergewaltigung war analysiert worden. Er werde den Bericht und die gefilterte Audiodatei schicken. Holtz dankte ihm und legte auf. Er musste lächeln, als ihm klar wurde, dass er nackt in der Diele stand. Ob man jemandem anhörte, ob er bekleidet oder nackt war? Vermutlich nicht.
Er stellte sich wieder unter die Dusche und hatte gerade das Wasser angedreht, als es ein weiteres Mal
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