EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
sagte Hirschau. „Wir müssen dem Eilrichter, der sich mit uns und dem Staatsanwalt berät, Beweise und Gutachten vorlegen. Er muss entscheiden, was mit dem Täter geschieht. Besteht nur der geringste Zweifel, wird er, bevor er sich den Arsch verbrennt, von der Untersuchungshaft absehen und den Verdächtigen laufenlassen, auch wenn er der Gerechtigkeit damit einen Bärendienst erweist.“
„Worauf willst du hinaus?“, fragte Alexandra sichtlich erstaunt. „Wenn das Gericht nicht in der Lage ist, die Wahrheit herauszufinden, welche Hoffnung bleibt dann noch auf Gerechtigkeit?“
„Nicht verzagen“, flachste Hirschau, „die Gerechtigkeit ist zäh. Nichts bleibt unter ihrer Sonne verborgen, und manchmal schlägt sie zu, wenn man gar nicht mehr auf sie gehofft hat. Du hattest recht mit deiner Vermutung, Benedikt. Komm, setzt euch und schaut euch das von Alexandra zusammengestellte Video an, dann verstehst du, was ich meine.“
Hirschau schaltete den DVD-Player ein.
„Ich habe einige Sequenzen ausgewählt“, begann Alexandra. „Hier zum Beispiel: Bei Anna hat die Hypnose eingesetzt, es entsteht der sogenannte Rapport. Je tiefer die Hypnose verläuft, desto stärker konzentriert sich Anna auf Kreiler. Ihre Augen sind geschlossen. Für sie existiert in diesem Augenblick nichts anderes als die suggerierende Stimme, andere Geräusche nimmt sie praktisch nicht mehr wahr. Sie vertraut Kreiler, er wird zur totalen Bezugsperson. Durch ständiges Wiederholen der einführenden Suggestionen wird die Hypnose immer weiter vertieft. Schließlich nennt ihr Kreiler ein Codewort.“
„Ich höre ihn nicht“, sagte Neumann irritiert, und van Cleef nickte.
„Er spricht absichtlich so leise, dass er auf dem Band nicht zu hören ist. Es ist nur für seine Patientin bestimmt.“ Hirschau hielt die DVD an, dann sprang er in Zeitlupe einige Sequenzen vor und zurück. „Hier, schaut auf seine Lippen. Wir können bis auf eine Ausnahme unter uns nicht von den Lippen lesen und würden daher nie erfahren, was Anna nicht nur hört, sondern Kreiler ihr zu sehen vorgibt. Das, was sie wirklich sieht, entzieht sich freilich jeder Aufzeichnung.“
„Und wer ist diese Ausnahme unter uns?“, fragte van Cleef.
„Kirstin.“
Die lächelte verlegen. „Meine Schwester ist taub. Ich kann wie sie Lippenlesen“, erklärte sie und zeigte auf den Bildschirm. „Kreiler sagt dort gerade zu Anna: Du bist es, die in dem Grab liegt .“
Van Cleef sah sie fassungslos an. „Bist du dir sicher?“
Kirstin nickte.
Hirschau sprang einige Sequenzen weiter vor. „Und hier geht es um die Beeinflussung der visuellen Wahrnehmung. So unglaublich es erscheinen mag, aber Anna kann auf Kreilers Anweisung hin mit geöffneten Augen Dinge sehen, die nicht vorhanden sind.“
Kirstin unterbrach Hirschau. „Hier sagt Kreiler zu ihr: Ich bin Max, ich bin es, den du liebst .“
Alexandra nickte und wandte sich van Cleef und Neumann zu. „Kreiler spiegelt ihr eine überaus reale Scheinwelt vor. Wie Robert schon gesagt hat, erlebt sie das, was er ihr vorgibt. Sie vertraut ihm, weil er sie glauben lässt, er sei Max.“
„Ich habe es geahnt“, sagte van Cleef.
„Mach dir keine Vorwürfe. Du kannst nichts dafür“, beruhigte ihn Hirschau.
„Was ist mit der letzten Aufzeichnung?“, fragte van Cleef. „Anna hat sie an sich genommen, als Kreiler mal nicht im Zimmer war. Ich glaube, sie hat irgendetwas geahnt.“
„Auf dieser Aufzeichnung erkennt man das ganze Ausmaß. Der Arzt hat in geradezu unvorstellbarer Weise das Vertrauen seiner Patientin missbraucht“, sagte Alexandra leise.
Und dann spielten sie van Cleef die letzte Aufzeichnung vor, und diesmal war der Ton laut und klar.
***
Kreiler streichelte Annas Haar und versuchte sie zu beruhigen.
„Was mache ich denn hier in deiner Praxis?“, fragte sie.
„Du bist schon den ganzen Vormittag hier.“
Sie schaute sich irritiert um.
„Anna, was meinst du eigentlich, was hier vor sich geht?“
„Bin ich in einem Zustand hypnotischer Regression?“, fragte sie zögernd. „Und ist das hier eine Erinnerung?“
„Wo warst du, als ich dich regrediert habe?“
„In Katharinas Haus. O mein Gott … Ich habe sie gesehen. Sie lag blutüberströmt auf dem Fußboden.“
„Beruhige dich. Du warst also in Katharinas Haus, als ich dich regrediert habe. Also geschieht das hier alles nur in deiner Vorstellung?“
„Ja!“
„Ich habe befürchtet, dass das passiert“, sagte er.
„Was meinst
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