EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
mich schon gefragt, in welcher Beziehung Sie jetzt zueinander stehen.“
Anna blickte finster. „Er ist der Kläger, ich die Beklagte.“
Dr. Ansgar lächelte. „Max sagt, er hat die Klage zurückgezogen“, sagte er humorvoll.
„Ja, wir verstehen uns jetzt besser. Es war für uns eine sehr schwere Zeit. Unsere Ehe hat unter diesem Wahnsinn sehr gelitten.“
Ansgar verarbeitete die Information einen Moment, dann sagte er: „Wie wär’s, wenn wir es heute Nachmittag mit dem Pentothal probieren?“
„Okay.“
***
Nachdem sie die erste Injektion erhalten hatte, fühlte Anna sich immer unwohler. Sie wollte auf der Couch ihre Position verändern, aber sie konnte es nicht.
Die Angst, an die vergangene Woche erinnert zu werden, ließ sie erstarren. Sie war wie in Eis eingeschlossen. Sie hatte Angst, sich zu bewegen und etwas loszureißen. Aber warum? Ein logischer Teil ihres Verstands setzte sich diesen Reaktionen noch immer entgegen und missbilligte ihr Unbehagen.
„Ganz ruhig“, sagte Dr. Ansgar. „Sie sind hier sicher.“
„Ich kann nicht denken. Da ist kein Platz zum Denken.“ Sie empfand nur noch Druck und Kälte. „Es ist sein Zimmer. Dieses weiße Zimmer. Ich liege auf der Couch. Er redet mit mir.“ Das Sprechen schien sie gewaltig anzustrengen.
„Was sagt er?“ Dr. Ansgar flüsterte fast, aber seine Worte klangen beschwingt. „Was sagt er?“, wiederholte er, diesmal lauter, mit einer Stimme, die deutlich, wenn auch verhalten, einen triumphierenden Beiklang hatte, einen Beiklang, der Anna mit Grauen erfüllte.
„Er … Er …“
„Ja?“
„Er … sagt, ich bin Katharina. Er sagt, Anna liegt in dem Grab. Er …“ Plötzlich wurden mit einem Mal große Teile ihrer Vergangenheit so klar, dass ihr das Herz stockte.
Dann schmolz das Eis, und das bedrohliche Bild verschwand so schnell, wie es gekommen war. Ihre Augen öffneten sich jäh, und sie war da, wo sie die ganze Zeit gewesen war, auf der Couch gegenüber von Dr. Ansgar, erfüllt von Freude, weil sie sich endlich erinnerte. Und erfüllt von einer frostigen Mischung aus Staunen und Entsetzen über das, was ihr widerfahren war, unter Zwang, doch auch … freiwillig.
Schön zu wissen, wer du bist, dachte sie.
***
Es folgten weitere Sitzungen. Jetzt, da die Gestalt ihrer Alpträume ein Gesicht bekommen hatte und sie sich daran erinnerte, was in dem dunklen Raum geschehen war, war sie verblüfft, wie schnell sich das Puzzle zusammensetzte. Und jeden Tag kamen neue Teile hinzu.
Trotzdem konnte sie kaum verkraften, was geschehen war. Sie schrie, wurde von hysterischen Weinkrämpfen und Wutausbrüchen geschüttelt, sie lachte zu laut, zu leise.
Dr. Ansgar ertrug ihre Emotionen mit der Gelassenheit, die sie brauchte, um zu genesen.
Nur bei jener nächtlichen Erinnerungssequenz, in der Jakob plötzlich im Schlafzimmer aufgetaucht war und sie im Schlaf geliebt hatte, war sie ruhig und gelassen geblieben, obwohl Dr. Ansgar alles versucht hatte, sie mit seinen Fragen aus der Reserve zu locken.
Es war in einer jener Sequenzen gewesen, als Anna plötzlich spürte, dass sie nicht mehr allein war. Der Keller war dunkel. Sie schaute sich um, doch sie konnte nichts erkennen. Es war, als starre sie in eine dunkle Höhle.
„Die Dunkelheit stört dich, nicht wahr?“, hörte sie ihn sagen.
Dann ein scharfes Klicken, die Deckenlampe flammte auf und tauchte alles in sanftes Licht.
Jakob saß auf einem Stuhl, hatte die Füße auf den Stahltisch gelegt und sich mit verschränkten Armen im Sessel zurückgelehnt. Seine Größe beherrschte den Raum. Sein Gesicht sah schroff aus und sein Unterkiefer hart.
Sie bemerkte den Tragriemen, der in der Ecke von der Decke hing. Er beobachtete sie mit hochgezogener Augenbraue und fragendem Blick, dann schwang er die Füße vom Tisch, erhob sich und kam quer durch den Raum auf sie zu, eine Spritze in der Hand. Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Er starrte mit blutunterlaufenen Augen auf sie herab und legte seine Hand auf ihren Arm.
„Macht dir dieser Ort hier Angst?“, fragte er. „Oder bin ich es?“
Sie schauderte. Wenig später war die Welt voller bunter Farben.
Ihr Unterleib verkrampfte sich, und sie wusste: Noch war Zeit. Noch war die Reise nicht beendet. Er sah sie eine Weile nachdenklich und schweigend an, dann brachte er sie zu dem Tragriemen hinüber. Er hob sie hoch und legte sie mit dem Rücken darauf.
Ihr Herz schlug schnell, der Raum schwelgte in tanzenden Farben. Er
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