EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
bitte!“
„Noch höher?“, flöteten die Eltern.
„Ja! Ja!“
Max und Anna gehorchten und schubsten die Schaukel an.
„Geht es dir nicht gut?“, flüsterte Max ihr ins Ohr.
„Ich bin gereizt. Es ist das grelle Licht. Es erinnert mich an die Blitze in meinem Kopf, diese Bildersequenzen. Es ist wie ein Puzzle, das sich nicht zusammenfügen lässt. Entschuldigung.“
„Schon gut, Anna.“
Katharina kreischte, und Anna lachte.
***
Am Abend warf sie nach dem Abendessen zu einem Glas Rotwein zwei Aspirin, Trevilor und Baldriankapseln ein und sah, dass Max sie dabei beobachtete. Sie hatte sich entschieden, einige Medikamente, die Jörg ihr verschrieben hatte, doch wieder zu nehmen.
Allmählich fand sie ihre Balance zurück. Sie ging nach oben ins Kinderzimmer, um Katharina gute Nacht zu sagen. Sie musste auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Die vage Angst, die sie seit ein paar Tagen quälte, schien mit einem Mal viel weniger Macht zu besitzen.
Das gesprenkelte Licht der blauen Lampe, die auf Katharinas Nachtschränkchen stand, ergoss eine sprudelnde Vielfalt funkelnder kleiner Sterne ins Kinderzimmer. Katharina wartete bereits auf das abendliche Ritual.
„Ist ja komisch“, begann Anna. „Ich hätte schwören können, ich hätte ein kleines Geißlein namens Katharina in dieses Zimmer gehen sehen.“ Sie stemmte ihre Hände in die Hüften. „Komm raus, komm raus, wo immer du bist.“ Sie öffnete die Tür des blau lackierten Kleiderschranks und tat so, als würde sie nach etwas suchen. „Hat das Geißlein sich vielleicht in diesem Schrank versteckt? … Hm … nichts!“ Sie schloss die Schranktür. „Ich frage mich, wo es wohl steckt.“
Katharina kicherte unter ihrer Bettdecke. „Mami! Das ist doch kein Schrank, das ist der Uhrkasten! Und ich bin unsichtbar.“
Anna betrachtete die Konturen ihrer Tochter, die sich unter der geblümten Bettdecke abzeichneten. „Was rumpelt und rumpelt denn da unter der Bettdecke? Mein kleines Geißlein? Wenn es unsichtbar ist, wie kann es dann sein, dass ich es gefunden habe?“
Katharina kreischte vor Vergnügen und kroch unter der Decke hervor. „Hast du gewusst, wo ich war, Mami?“
„Ich hatte keine Ahnung, Kleines. Möchtest du Jasper haben?“
„Ja, Mami.“
Anna lächelte. Schon ihre Schwester hatte den kleinen, alten wuscheligen Teddybären innig geliebt und ihm als Kind ihre Sorgen und Wünsche anvertraut. Mittlerweile fehlte dem Stofftier ein Ohr, und es wurde von vielen Nähten zusammengehalten, aber Jasper war auch Katharinas Liebling. Und wie ihre Schwester sprach auch ihre Tochter mit Jasper.
Anna legte ihn auf das Kopfkissen und deckte Katharina zu. Plötzlich wurde sie ernst, und die Welt schien sich zu verdunkeln.
„Mami, was ist denn?“, fragte Katharina leise.
„Es gibt nichts auf der Welt, was ich so liebhabe wie dich. Das weißt du doch, oder?“
„Ich hab dich auch lieb, Mami.“
„Ich weiß. Gute Nacht, mein Schatz.“
„Gute Nacht, Mami.“
Anna stand auf, löschte das Licht und schloss die Tür des Kinderzimmers. Sie lehnte sich einen Moment an die Wand und machte die Augen zu. Da … da war es wieder.
Sie zitterte, ihr Herz pochte, ein jäher Ruck mit dem Kopf, und für die Dauer einer Sekunde spürte sie die Lederriemen, die sie an die Pritsche im Keller seines Hauses gefesselt hatten, dazu einen stechenden Schmerz in der Brust.
Er weiß, wo ich wohne, kam ihr in den Sinn. Der Gedanke vermischte sich mit dem merkwürdigen Gefühl, als Einzige die Wahrheit über ihre Tochter zu kennen. Sie holte tief Luft, wiederholte Max’ Worte, dass er tot und alles vorbei war, und ging die Treppe hinunter ins Wohnzimmer.
Als sie den Raum betrat, stand Max auf und reichte ihr ein Glas Wein. Ihm entging ihre Anspannung nicht. Er hasste Schwierigkeiten, und dieser Abend sah ganz nach einem Streit aus.
„Alles in Ordnung, Schatz?“
„Morgen darfst du dir eine neue Variante von Der Wolf und die sieben jungen Geißlein ausdenken.“
„Wie wär’s denn mal mit einem neuen Märchen? Äh, Rotkäppchen?“
„Das hat sich aber nicht versteckt. Das wurde sofort aufgefressen.“
Er grinste. „Unsere Tochter liebt anscheinend das Grausame. Na, dann werde ich mal nachdenken. Hilfst du mir dabei?“
Sie antwortete nicht. Unsere Tochter liebt das Grausame. Wie konnte er nur so etwas sagen?, fragte sie sich. Sie fühlte sich in seiner Nähe plötzlich unbehaglich und mied seinen Blick. Du hast keine Ahnung.
„Möchtest du mir
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