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Eiskalter Sommer

Eiskalter Sommer

Titel: Eiskalter Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf S. Dietrich
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Schnee. Die weißen Teile ihrer Felle verschmolzen mit dem Hintergrund, während die schwarzen Flecken ein kurioses Muster in der Landschaft bildeten.
    „Vielleicht können wir mit dem Trecker ... Wir müssen versuchen, das Dorf zu erreichen. Susanne braucht einen Arzt.“
    Hendrik schüttelte den Kopf. „Selbst wenn wir damit vorankommen ... Kennst du den Weg? Liegt doch alles unter einer Schneedecke. Ehe wir uns versehen, landen wir in einem Graben. Wenn wir Pech haben, unter dem Trecker.“
    „Aber Susanne! Sie kennt sich doch aus. Einer von uns fährt, und sie sagt nur, wo es langgeht.“
    „Theoretisch hast du recht.“ Hendrik sah zum Tor hinüber. „Aber ich glaube nicht, dass sie dazu in der Lage ist.“
    Jan hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und versuchte verzweifelt, Susanne eine Reaktion zu entlocken. „Es ist alles gut, du bist außer Gefahr. Am Kopf, das ist nur eine Platzwunde. Die blutet zwar, aber sie ist nicht gefährlich. Alle Tiere sind im Freien. Euer Haus ist unversehrt. Nur der Stall ...Was mit deinem Vater ist ...“
    Susanne schlug die Augen auf. „Frank ist schuld“, murmelte sie. „Er hat alles kaputt gemacht. Ich fahre nach Hause. Mutter will verreisen. Muss nur noch packen. Und in der Uni ...“
    Jan schüttelte sie sanft. „Susanne, du bist zu Hause. Bei deinen Eltern. Wir haben eine Schneekatastrophe. Alle Straßen sind dicht. Aber die Feuerwehr kommt. Sie haben es versprochen. Und dann bringen wir dich zu einem Arzt. Oder in ein Krankenhaus. Kannst du aufstehen? Hier erfrierst du ja noch. Lass uns ins Haus gehen.“
    Mit einiger Mühe brachte er Susanne auf die Beine. Sven kam ihm zu Hilfe, gemeinsam schleppten sie die willenlose Frau über den Hof. Sie murmelte Worte vor sich hin, die keinen Sinn ergaben, und Jan war erleichtert, als sie Susanne schließlich in der Küche auf der Eckbank abgesetzt hatten, wo sie teilnahmslos durch ihn hindurch sah.
    Fragend sah er seinen Kameraden an. „Bleibst du einen Moment hier? Ich telefoniere noch mal mit der Feuerwehr. Vielleicht wissen die inzwischen schon mehr. Ich meine, ob sie kommen können oder ob ...“ Statt den Satz zu beenden, hob er die Schultern.
    Als Jan kurz darauf in den Raum zurückkehrte und Susanne mit starrem Blick auf der Bank sitzen sah, kämpfte er mühsam gegen ein aufsteigendes Gefühl der Panik.
    „Und?“, fragte Sven.
    Jan schüttelte den Kopf. „Die Leitung ist tot.“

    *

    Wenn der Abgeordnete Ostendorff morgens die Zeitung aufschlug, die ihm seine Frau aus dem Briefkasten geholt und bereitgelegt hatte, suchte er zuerst die Cuxhaven-Seite auf. Dann blätterte er zu den Meldungen aus dem Landkreis. Gewöhnlich fand er, wonach er suchte: Hinweise auf seine Wahlkampfveranstaltungen, Berichte von Podiumsdiskussionen, an denen er teilgenommen oder von Gesprächen, die er mit dem Oberbürgermeister, dem Landrat oder mit Wirtschaftsvertretern geführt hatte. Je nach Zusammensetzung des Teilnehmerkreises vertrat er die Linie seiner Partei oder die Sicht der Landesregierung. Oder er stellte kritische Fragen an die Landespolitik aus der Perspektive des Wahlkreises Cuxhaven. Und immer wieder beglückwünschte er sich zu den gelungenen Artikeln, die daraus entstanden waren. Dank seiner Gabe, die jeweilige Zuhörerschaft richtig einzuschätzen, traf er eben immer den richtigen Ton. Und den Zeitungsredakteuren blieb nichts anderes übrig, als die Zustimmung des Publikums zur Kenntnis zu nehmen. Mochten sie in ihren Artikeln kritische Fragen formulieren – letztlich behielt immer derjenige recht, der den meisten Beifall erhielt.
    Wenn es das Wetter – wie in diesen schönen, heißen Sommertagen – zuließ, begann er den Morgen mit der Zeitung auf der Terrasse seiner Villa in Sahlenburg. Das großzügige Grundstück am Wernerwald war von hohen Hecken und altem Baumbestand umgeben, so dass er den freien Blick über den gepflegten Rasen genießen und sich an seinem Anwesen ungestört und unbeobachtet erfreuen konnte. Das Land hatte er vom Vater geerbt, und das Haus hatten sie aus dem Erbteil seiner Frau bezahlt, das sie vorzeitig überschrieben bekommen hatte. Ihre Familie besaß Apartmenthäuser in bester Lage von Duhnen, die genug abwarfen. Von seinen Abgeordnetendiäten konnten sie standesgemäß leben, so dass er weder finanzielle Engpässe noch andere bedeutsame Beschwerlichkeiten kannte. Ostendorff war stolz auf seine junge und hübsche Frau, mit der er bei offiziellen Anlässen andere Männer beeindruckte.

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