Eiskalter Sommer
zugenickt hatte.
„Was möchtest du?“, fragte Felix anstatt ihre Frage zu beantworten. Erst als er die Bestellung losgeworden war, beugte er sich über den Tisch und sah sie an. „Evers ist von einem Arbeitskollegen bedroht worden.“
„Das wissen wir bereits.“ Marie musste enttäuscht geklungen haben, denn Felix lächelte hintergründig. „Ich meine nicht die Szene am Werkstor. Es liegt schon ein paar Wochen zurück. Und damals ging es richtig zur Sache. Der Mann wollte Evers ...“ Dorn zögerte, dann fuhr er fort. „Ich zitiere ... die Eier abschneiden. Und das soll er ziemlich wörtlich gemeint haben.“
„Weißt du, wer ...?“
Dorn nickte. „Derselbe, der ihn an dem Morgen angegangen ist. Hannes Fedder.“
Marie spürte, wie ihre Neugier erwachte.
„Und worum ging es damals?“
„Um Fedders Tochter. Sie ist dreiundzwanzig und damit genau halb so alt wie Evers. Er hat sie bei einer Betriebsfeier kennen gelernt, seitdem haben sie ein ... eine ...“
„Du meinst“, unterbrach ihn Marie, „die beiden sind ... zusammen?“
„Sie waren es jedenfalls. Wie der aktuelle Stand ist, weiß ich nicht genau. Einige sagen, sie hätte sich gerade von ihm getrennt. Andere glauben, beide in diesen Tagen noch zusammen gesehen zu haben. Jedenfalls war Vater Fedder seitdem nicht gut auf Evers zu sprechen. Er soll ihm ein Ultimatum gestellt haben. Wenn er seine Tochter nicht in Ruhe ließe, würde er ihm einen Denkzettel verpassen, den er den Rest seines Lebens nicht vergessen würde. In diesem Zusammenhang soll der Hinweis auf die ... Kastration gefallen sein.“
Marie musste an die Akte denken, die sie angefordert hatte, deren Inhalt sie aber noch nicht kannte. Und an Christian Fedder. Sie hatte gleich am Tag nach dem Besuch bei ihren Eltern im Polizeicomputer nach ihm gesucht. Und er tatsächlich dort erfasst. Der Tatvorwurf war noch verzeichnet. Gefährliche Körperverletzung. Leider verriet die Datei nicht, um welche Art von Körperverletzung es sich dabei gehandelt hatte. Aber wenn der Vater ebenfalls zu Gewalttätigkeiten neigte, hatten dann vielleicht beide zusammen gehandelt? Und vielleicht auch den Betriebsratsvorsitzenden gemeinsam in die Kühlhalle gesperrt? Immerhin vorstellbar. Was aber sollten sie mit dem zweiten Todesfall zu tun haben, der doch einige Parallelen zu dem ersten aufwies?
„Kennst du den Chefkoch des Restaurants Cap Cux?“, fragte sie unvermittelt.
Felix Dorn wiegte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich habe mal eine Reportage über Spitzenköche in Cuxhaven und Umgebung gemacht. Dabei waren wir auch im Cap Cux. Wir haben mit ihm über seine Arbeit gesprochen, ein Foto gemacht und das war’s. Jedenfalls haben wir nichts Persönliches besprochen. – Ist er der Tote?“
Marie biss sich auf die Lippen. Sie war drauf und dran, polizeiinterne Ermittlungsergebnisse weiterzugeben. Und das an einen Journalisten. Zwar würde Kriminaloberrat Christiansen den Namen morgen sowieso bekannt geben, aber wenn er vorher schon in der Zeitung stand, würden Konrad Röverkamp und sie einige Fragen beantworten müssen.
Für den Augenblick kam sie um eine Antwort herum, weil die Bedienung die Eisbecher brachte. Rasch griff sie nach dem Löffel und angelte ein Mandarinenstückchen unter dem Sahneberg hervor.
Felix beobachtete sie aufmerksam, fragte aber nicht noch einmal nach. „Lass es dir schmecken“, sagte er etwas steif und begann ebenfalls, sein Eis zu löffeln.
Während Marie die erfrischend kühle Mischung aus Eis und Früchten mit der Zunge gegen den Gaumen drückte, hielt sie den Blick geradeaus gerichtet. Unbewusst fixierte sie die Aufschrift auf dem großen Findling, der den Mittelpunkt die Fußgängerzone markierte. Unter den Wappen von Cuxhaven und Vannes wiesen die Zeilen auf die Partnerschaft zwischen den Städten seit 1963 hin. Felix Dorn folgte ihrem Blick und deutete mit dem Eislöffel in Richtung des Steins.
„Ich kann mir nicht helfen, aber der erinnert mich immer an einen Grabstein.“
Marie sah irritiert auf. „Grabstein? Ach so. Ja, du hast recht. Hier ruht in Frieden ...“
„... die Städtepartnerschaft zwischen Vannes und Cuxhaven“, ergänzte Felix in pathetischem Tonfall. Beide brachen in befreiendes Lachen aus.
Erleichtert wandte sich Marie wieder dem Inhalt ihres Früchtebechers zu. Er schmeckte plötzlich noch viel besser. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Felix, dessen fröhliche Miene es ihr plötzlich leicht machte, Konrad Röverkamps Empfehlung zu
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