Eiskalter Sommer
sah, dass es in ihm arbeitete. Wahrscheinlich überlegt er jetzt, ob er nicht doch einen Anwalt braucht.
„Ich bring doch keinen um“, wiederholte er.
„Aber offensichtlich sind Sie in der Lage, Menschen zu verletzen. Mit einem Messer, mit den Fäusten und ...“ Der Hauptkommissar zog ein Blatt aus der Akte. „Indem Sie ihn in eine Räucherkammer sperren. 1988 haben Sie einen Kollegen in der Räucherei Ihrer Firma eingeschlossen. Nach ihrer Aussage, um ihm einen Denkzettel zu verpassen. Damals ging es um einen ähnlichen Anlass. Der Kollege soll Ihrer Frau zu nahe gekommen sein. War es diesmal genauso? Wollten Sie ihrem Kollegen Evers einen Denkzettel verpassen? Haben Sie ihn im Kühlhaus eingeschlossen? Möglicherweise wollten Sie ihn nach einiger Zeit ja wieder befreien. Aber etwas oder jemand hat Sie daran gehindert. War es nicht so?“
Hannes Fedder schüttelte den Kopf. Von seiner Stirn rannen Schweißtropfen über Wangen und Bartstoppeln und versammelten sich am Kinn, von wo aus sie in seinen Schoß tropften. „Ich war’s nicht. Das müssen Sie mir glauben. Auf dem Kieker hatte ich ihn schon. Evers ist ... war ... ein Schwein. Wenn ich ihn zu fassen gekriegt hätte, wäre was fällig gewesen. Nicht nur wegen Stefanie. Vielleicht hätte ich ihm eins in die Fresse ...“ Fedder unterbrach sich. Offenbar war ihm bewusst geworden, welchen Eindruck seine Worte erwecken konnten. „Aber ich bringe keinen um“, wiederholte er ein weiteres Mal.
Hauptkommissar Röverkamp nickte nachsichtig, als könne er Fedder jedes einzelne Wort glauben. „Wenn es nicht nur um Ihre Tochter ging – womit hatte er Ihrer Meinung nach denn noch verdient, eins in die Fresse zu bekommen?“
„Evers hat uns verarscht. Die ganze Belegschaft. Hat was ausgekungelt mit den Bossen und den Banken. Dass die Firma dichtgemacht wird. Ohne großes Trara. Dafür haben Sie ihm den Job als Logistikmanager gegeben. In der CuxFrost.“ Fedder hatte sich in Rage geredet und fuchtelte mit den Armen. Marie sah ihn schon von seinem Stuhl aufspringen.
„Der Geschäftsführer, Herr Brütt“, warf sie ein, „hat ausgesagt, dass Herr Evers bei allen gut angesehen war. Und schließlich war er Ihr Betriebsratsvorsitzender. Die Belegschaft muss ihn also mal gewählt haben.“
Fedder winkte ab. „Die stecken alle unter einer Decke. Der Brütt und der Evers – die waren doch die eigentlichen Bosse. Haben alles unter sich ausgemacht. Der junge Behrendsen hat keine Ahnung vom Fischgeschäft. Der hat denen freie Hand gelassen und sich um nichts gekümmert. Unter dem Alten wäre das nicht passiert.“
Er drehte sich zu Marie um. „Und Sie, junge Frau, haben keine Vorstellung davon, wie es in Wirklichkeit zugeht. Ob einer Betriebsrat wird, hat nichts damit zu tun, ob er gut angesehen ist. Da geht’s um knallharte Interessen. Machtspiele sind das. Seilschaften. Gewählt wird der, von dem man sich Vorteile verspricht. Nebenbei kungeln Gewerkschaftsfunktionäre mit der Betriebsleitung. Das ist bei uns nicht anders als bei VW oder Siemens. Aber am Ende bezahlen wir die Zeche, die Arbeiter.“
„In diesem Fall“, stellte Konrad Röverkamp fest, „hat Herr Evers den höchsten Preis bezahlt. Und wir fragen uns, wofür, Herr Fedder. Wenn Sie es nicht waren – haben Sie eine Vorstellung, wer ihn im Kühlhaus eingeschlossen haben könnte?“
Hannes Fedder fiel wieder in sich zusammen und hielt den Blick auf den Boden gerichtet. „Nein“, murmelte er. „Keine Ahnung.“
Eine lange halbe Minute herrschte Schweigen. Dann hielt Röverkamp Fedder ein Foto unter die Nase und schoss die Frage ab, auf die Marie schon gewartet hatte. „Kennen Sie diesen Mann?“
Aus Fedders rotem Gesicht wich die Farbe.
11
Konrad Röverkamp hatte sich einen Nachmittag frei genommen, um Sabine Cordes zu besuchen. Und um ein wenig Abstand gewinnen und in Ruhe nachdenken zu können. In den letzten Nächten hatte er wenig geschlafen. Wegen der Hitze. Und weil er die Gedanken nicht hatte abstellen können. Er fühlte sich müde und sehnte sich nach frischer Luft. Zwar plagte ihn sein Gewissen, weil er die Arbeit Marie und den Kollegen überließ, aber er schob die Bedenken beiseite und redete sich ein, die kleine Auszeit würde ihm zu neuer Kraft verhelfen.
Am liebsten wäre er mit dem Fahrrad gefahren, um sich den Druck von der Seele zu strampeln, den die unklare Situation erzeugte. Die beiden Fälle, von denen er nicht einmal sicher wusste, ob sie nicht eigentlich ein
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