Eiskalter Sommer
Fall waren, belasteten ihn ebenso wie die Frage, vor die ihn das plötzliche Ableben von Amelie Karstens gestellt hatte. Aber erstens war es bis zu Sabine in Debstedt zu weit für eine nachmittägliche Fahrradtour und zweitens war es viel zu heiß.
Er würde sich Zeit lassen und ein paar sommerliche Eindrücke von der Wurster Küste sammeln. Und unterwegs noch in jener Gaststätte einkehren, die er auf Empfehlung von Marie Janssen vor zwei Jahren zum ersten Mal besucht hatte, als sie für die Ermittlung in einem Mordfall unterwegs waren. Ein Krabbenfischer hatte eine Tote in seinem Netz gefunden. Damals hatte er zum ersten Mal vom Roten Claas gehört und im Restaurant dessen Konterfei besichtigen können.
Während er seinen Wagen in Richtung Holte-Spangen lenkte, kreisten seine Gedanken um die erfrorenen Männer und Hannes Fedder. Zwei Tote und ein Verdächtiger. Aber das Dreieck war alles andere als symmetrisch. Wäre nur Betriebsrat Evers auf die eiskalte Art zu Tode gekommen, hätten sich alle Indizien auf Fedder vereint. Er hätte ein Motiv, offensichtlich auch die notwendige Gewaltbereitschaft und Gelegenheit für die Tat. Und er besaß kein Alibi für die Zeit, in der Evers eingeschlossen worden war. Fedder kannte sich auf dem Betriebsgelände aus und wusste, dass voraussichtlich niemand mehr die Kühlhalle betreten würde. Für den Mord am Chefkoch des Cap Cux hatte er jedoch kein Motiv. Vielleicht kannte er den Mann, weigerte sich aber, dies zuzugeben. Möglicherweise hatte Marie recht, wenn sie vermutete, dass sie im Verlauf weiterer Ermittlungen die Verbindung zwischen den beiden Männern aufklären und ein Motiv entdecken könnten. Vielleicht war sie aber auch zu optimistisch.
Unwillkürlich erschien ein Lächeln auf Röverkamps Gesicht, als er an seine junge Kollegin dachte. Nach ihrer schrecklichen letzten Beziehung war sie allen Männern ausgewichen, die sich ernsthaft für sie interessierten. So wie er nach dem Tod seiner Frau. Aber jetzt war Marie offensichtlich verliebt. Und das freute ihn. Darum hatte er auch versucht, ihr Mut zu machen.
Ja, anderen konnte er gute Ratschläge erteilen, nur in seiner eigenen Beziehung gelang es ihm nicht, offen auszusprechen, was ihn bewegte. Warum rief er Sabine nicht einfach an? Amelie Karstens ist gestorben. Ich habe ihre Wohnung geerbt. Wir könnten zusammenziehen. Hast du Lust?
Die Kapitänswitwe hätte ruhig noch ein paar Jahre leben können. Dann hätte er jetzt nicht das Problem, wie er Sabine auf die neue Situation ansprechen sollte. Seit er sie bei seinem Aufenthalt in der Seepark-Klinik in Debstedt kennen gelernt hatte, war ihre Beziehung gewachsen und intensiver geworden. Sie hatten sich ein paar Mal auf neutralem Boden getroffen, dann gegenseitig in ihren Wohnungen besucht. Es hatte fast ein Jahr gedauert, bis sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten. Seitdem war er meistens zu ihr gefahren, weil es ihm unangenehm gewesen war, unter Amelie Karstens Augen mit Sabine im Arm oder an der Hand seine Zimmertür hinter sich zu schließen.
In den letzten Monaten war bei ihm der Wunsch gewachsen, mit ihr zusammenzuziehen. Doch dafür hätte einer von ihnen seinen beruflichen Standort aufgeben oder lange Wege in Kauf nehmen müssen. Er hätte nach Bremerhaven gehen können. Das hätte allerdings einen Wechsel in ein anderes Bundesland bedeutet und war nicht gerade einfach, besonders in seinem Alter, und außerdem wollte er sich nicht schon wieder verändern. Vor drei Jahren erst war er nach Cuxhaven gekommen. Hier hatte er viel Freiheit, denn Kriminaloberrat Christiansen war der angenehmste Vorgesetzte, den er je erlebt hatte. Wenige Jahre vor der Pensionierung wollte Röverkamp es nicht noch einmal mit einem selbstherrlichen, selbstgerechten und autoritären Chef zu tun haben. Von dieser Sorte gab es immer noch zu viele.
Also würde er Sabine mit dem Vorschlag, zu ihm nach Cuxhaven zu ziehen, gleichzeitig nahe legen, die Klinik zu wechseln. Oder sie müsste täglich fahren. Konrad Röverkamp fragte sich, ob in diesen Alternativen eine Zumutung lag, die ihre Beziehung belasten könnte. Und ein wenig fürchtete er sich vor ihrer Antwort. Vor einem Nein sowieso. Vielleicht auch vor dem Ja. Denn das bedeutete eine neue Lebensgemeinschaft. Eine Veränderung, nach der er sich einerseits sehnte, die er andererseits als Wagnis empfand, von dem er nicht wusste, ob er es wirklich eingehen wollte.
In Cappel-Neufeld fand er den Neefelder Kroog, nachdem er
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